Politik

Vor 90 Jahren endete die erste deutsche Demokratie im Faschismus

Eine Buchbesprechung


Transparent bei Gedenken in Kassel (Quelle: Kurt U. Heldmann - heldmann.photography)
Titelumschlag des Buchs
(Quelle: Ulrich Schneider)
GDN - Heute jährt sich die so genannte „Machtergreifung“ des deutschen Faschismus unter der NSDAP zum neunzigsten Mal. Ulrich Schneider will aufzeigen, „wie die Errichtung der NS-Diktatur in Übereinstimmung mit den Eliten aus Wirtschaft, Politik und Militär systematisch vorbereitet und realisiert wurde.“
Ulrich Schneider beschreibt in seinem Buch „1933 Der Weg ins Dritte Reich“ die Zeit vom Ende der „Weimarer Republik“ 1928 bis zur Kriegsvorbereitung des „III. Reichs“ etwa um 1935. Er belegt seine Betrachtungen mit zahlreichen Quellen und Zeitdokumenten. Der Autor schildert detailliert die politischen Entwicklungen und die Rolle der verschiedenen Akteure, die zur Auflösung der Weimarer Republik und zur Etablierung einer Diktatur unter Hitler beigetragen haben.
Wahlwerbung der NSDAP in der Weimarer Republik
Quelle: aus "Geschichte Weimarer Republik" Frankfurt 1971
Hitler, ein psychopathischer (Ver-)Führer, dem die Massen, die die ungeliebte Demokratie satthatten und die durch die Weltwirtschaftskrise gebeutelt waren, (gerne) gefolgt sind – so oder so ähnlich werden die Bedingungen, die zur Machtübernahme der NSDAP unter Hitler führen konnten, gerne simplifiziert. „Eher dem Bereich der Psychologie zuzuordnen ist die These, Hitler habe mit schier unbändigem Führerwillen die Macht an sich gerissen. … solche Thesen gehen von der idealistischen Vorstellung aus, ein Einzelner könne – wenn er es denn nur intensiv genug wolle – irgendwelche Machtpositionen erreichen, ohne über Rückhalt in Politik und Gesellschaft zu verfügen“, schreibt Ulrich Schneider. Und an anderer Stelle: „Augenfällig ist, dass die Aufhebung der bürgerlichen Freiheiten und demokratischen Rechte und die auf dieser Grundlage durchgeführte Festigung der faschistischen Regierungsgewalt nicht heimlich, sondern vor aller Augen vollzogen wurden. … Zweitens sicherte die Regierung Hitler ihre Macht unter Ausnutzung der juristischen Instrumente der Weimarer Verfassung. Sie nutzte die in ihr vorgesehenen Ausnahmeregelungen zu Notverordnungen, die eigentlich als bloße Interims-Regelungen gedacht waren, mithilfe des Reichspräsidenten Hindenburg extensiv dazu, die Grund- und Freiheitsrechte grundsätzlich aufzuheben, die parlamentarische Kontrolle der Regierung auszuhebeln oder Zwangsmaßnahmen in Form von Verwaltungsregelungen einen scheinbar legalen Anstrich zu geben.“
Der Autor hat intensiv recherchiert und bietet in seinem Buch viele Hintergrundinformationen und Zusammenhänge, die dazu beitragen, das Verständnis für die damaligen Ereignisse zu vertiefen. Besonders beeindruckend ist, wie Ulrich Schneider die zentralen politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft darstellt.
Der Autor bezieht, anders als in vielen anderen Werken zu dieser Zeit, auch die Perspektive der Opfer und Gegner des Regimes ein und vermittelt so ein umfassenderes Bild der damaligen Zeit.
Wahlwerbung der NSDAP in der Weimarer Republik
Quelle: aus "Geschichte Weimarer Republik" Frankfurt 1971
Das Werk ist einerseits ein gut lesbares und durch die ausgewählten Quellen nachvollziehbares Geschichtsbuch. Es hat aber auch, gerade in seinem ersten Teil, eine hohe Aktualität. Denn die dort beschriebene Erosion der liberalen Demokratie, auch wenn sie deutlich weniger gefestigt schien als unsere heutige, ist ein Bedrohungsszenario, zu dem es in heutiger Zeit auch in Deutschland Parallelen gibt. In der Weimarer Republik gab es viele politische Kräfte, die die demokratischen Institutionen ablehnten und für eine autoritäre Alternative plädierten. Ähnlich ist heute eine zunehmende Unzufriedenheit mit der politischen Elite und den demokratischen Institutionen zu beobachten. Auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft und die Abkehr von den politischen etablierten Parteien, sowie die Zunahme von Populismus und Extremismus sind Parallelen zur Krise der Weimarer Republik. Solche Parallelen herzustellen, aber auch die Unterschiede von vor 90 Jahren und heute zu sehen, bleibt den Leserinnen und Lesern des Buchs überlassen. Der früherer Lehrer Ulrich Schneider, und das ist sicher eine Stärke seines Buchs, ist an keiner Stelle belehrend. Er informiert, sachlich und umfangreich über die Endphase der Weimarer Republik und die ersten Jahre des deutschen Faschismus. Ob und welche Schlüsse daraus für die politische Situation heute gezogen werden können, müssen seine Leserinnen und Leser selbst entscheiden.
Ulrich Schneider (Rede im Kasseler Ehrenmal)
Quelle: Kurt U. Heldmann- heldmann.photography
Informationen zum Autor: Ulrich Schneider, Dr. phil., * 1954, Historiker aus Kassel. Er ist Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) und Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Schneider ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. "Auschwitz" und "Antisemitismus im Dritten Reich".
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