Kultur

“Logos:Orfeo“: Tanzperformance in der Martinskirche Kassel

Tanzkollektiv ergründet Orpheus-Mythos


(Quelle: Karl-Heinz Mierke)
GDN - Am Ostersonntag wird der dritte Teil der Tanzproduktion “logos:orfeo“, die den Mythos um Orpheus & Eurydike aufgreift, in der Kasseler Martinskirche aufgeführt. Dabei verleiht die Heterogenität der Beteiligten, der Darbietung ihren ganz besonderen Reiz.
Quelle: Karl-Heinz Mirke
Bemerkenswert geschmeidig federt die 70jährige Dame in den Knien, lässt dabei ihre Hüften ebenso kreisen, wie ihren Kopf, wodurch die langen weiße Haare nur gelegentlich den Blick auf das konzentrierte Gesicht und die strahlend blauen Augen freigeben. In ihrer unmittelbaren Nähe führt ein junger Mann einen imposanten Rückwärtssalto aus und landet lautstark auf dem Boden, während gleichzeitig einige junge Frauen versuchen, ihre Becken beim Sprung möglichst herausfordernd zu bewegen. Hinten rechts in der Ecke sitzt Maria, eine aus Mexiko stammende Cellistin, ausgestattet mit dem für ihre Herkunft sprichwörtlichen Temperament, und versucht ihrem Instrument ein möglichst “schmutziges D“ zu entlocken.
“Sonja und Manfred“, bemüht sich eine mahnende Stimme, Marias Cello zu übertönen, um zwei schwatzende, ältere Teilnehmer, behutsam zur Ordnung zu rufen. Der sportliche, junge Mann führt mittlerweile einen Kopfstand auf dem harten Boden aus und erntet dafür anerkennende Blicke zweier Damen, die eine kurze Verschnaufpause einlegen. Zwischen all diesen unterschiedlichen Menschen, mit ihren unterschiedlichen Aktivitäten, bewegt sich, bemerkenswert langsam und bewundernswert ästhetisch, eine blonde Balletttänzerin hindurch. Am Rande der Szenerie hockt ein junger Mann, den Blick konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops gerichtet, um auf Tastendruck, im passenden Moment, die dazugehörige Musik aus den Lautsprechern erklingen zu lassen.
Quelle: Karl-Heinz Mierke
Diese bunt gemischte Gruppe hat sich in einem Probesaal einer Tanzschule in Kassel zusammengefunden, um ihrer Performance, die am Ostersonntag zur Aufführung kommen wird, den letzten Schliff zu verleihen. Der Probenleiter greift zu seiner Kladde und blättert suchend durch die, mit Erinnerungsstützen, Stichworten, die durch Pfeile miteinander verbunden sind, Zeichnungen und schematischen Darstellungen, vollgekritzelten Seiten. Es ist offenkundig, dass hier Menschen viel Arbeit investiert haben und mit ganzem Herzen bei der Sache sind.
“Labyrinthos“ nennt sich das Tanzkollektiv, bei dem sich etwa vierzig Beteiligte, darunter professionelle Tänzer, Sänger, Musiker und begeisterte Laien, zwischen 16 und 75 Jahren, zusammengefunden haben, um gemeinsam an unterschiedlichen Projekten zu arbeiten. Keiner der Anwesenden erhält eine Gage und niemand ist, in bewusster Abgrenzung zu den hierarchischen Strukturen öffentlicher Kultureinrichtungen, über- oder untergeordnet.
Thorsten Teubl (vorne) & Matthieu Götz
Quelle: Karl-Heinz Mierke
Die Beteiligten haben sich überwiegend als Statisten bei dem Tanztheaterstück “Orpheus“, das in der vergangenen Spielzeit am Staatstheaters Kassel aufgeführt wurde, kennengelernt. Dr. Thorsten Teubl, damaliger Dramaturg der Produktion, hat mit der Gruppe weitergearbeitet und die Verantwortung für die Inszenierung und Choreografie übernommen. Die technischen Anforderungen liegen bei Dipl. Ingenieur Matthieu Götz, der über umfangreiche professionelle Erfahrung als Bühnen- und Kostümbildner verfügt, in guten Händen.
Fasziniert vom Orpheus-Mythos, hat das Tanzkollektiv einen dreiteiligen Zyklus erarbeitet, dessen ersten Teile, im vergangenen Jahr, auf dem Kasseler Königsplatz und im Museum für Sepulkralkultur, aufgeführt wurden.
Der Mythos von Orpheus gilt als die “Urgeschichte“ der Menschheit und des menschlichen Strebens, das Geheimnis des Todes zu durchdringen. “In unserem Erbe unglücklicher Liebesgeschichten ist die Geschichte von Orpheus und Eurydike die bekannteste und ergreifendste. Sie ist sogar ein Archetypus aller Geschichten von Liebe und Tod.“ (Franco Serpa) Eine am Projekt beteiligte Schülerin bringt es auf den Punkt: “Es ist zwar ein alter Mythos, aber das Thema ist für uns, und für Menschen in aller Zeit, gültig.“
1.Teil - "Aus der Tiefe"
Quelle: Karl-Heinz Mierke
2.Teil - "Lautlose Welt"
Quelle: Karl-Heinz Mierke
3.Teil - "Durchquerung"
Quelle: Karl-Heinz Mierke
Am Ostersonntag (20.April) wird nun in der Kasseler Martinskirche um 21:00 Uhr der abschließende dritte Teil zur Aufführung gebracht. Das Publikum erwartet eine aus verschiedenen Elementen, wie Tanz, Sprache und Gesang, bestehende Performance, mit Musik von Biber, Bach, Monteverdi, H.P. Platzer, Henze und anderen. Der erste Teil wird bis etwa 22:30 Uhr dauern. Nach einer kurzen Pause schließt sich der zweite Teil an, der gegen Mitternacht sein Ende finden wird. Am Ostermontag werden Elemente der Performance im Gottesdienst (10 Uhr) wiederholt und thematisch aufgegriffen.
Nelly Heyer bei der Probe in der Martinskriche
Quelle: Karl-Heinz Mierke
Orpheus Reise in die Unterwelt, das Eindringen in das Jenseits, zählt zu jenen Ideen, die die Menschen seit ihren Anfängen nicht mehr losgelassen haben. Die an dem Projekt Beteiligten haben sich ebenfalls auf eine Reise begeben und auf ein Experiment, mit unbekanntem Ausgang, eingelassen. Bei den Proben, die ich erleben durfte, war der Gewinn, den diese aus der gemeinsamen Arbeit mit - hinsichtlich ihres Alters, ihrer Herkunft, ihrer angestammten Arbeitsbereiche und gemachten Erfahrungen - gänzlich unterschiedlichen Menschen, gezogen haben, deutlich spürbar. In der Osternacht erhalten nun die Zuschauer die Möglichkeit, diese Reise zu begleiten und nachzuvollziehen, was sicherlich eine Bereicherung für alle bedeutet, die dabei sein werden.

weitere Informationen: https://www.logos-orfeo.de

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