Kultur
Kunsthalle Fridericianum eröffnet Doppelausstellung
nature after nature/Maha Maamoun
Susanne Pfeffer informiert die Medien (Quelle: heldmann-images)
GDN -
Nach dem Erfolg von “Speculations on Anonymous Materials“ im letzten Jahr eröffnet am Freitag das “Fridericianum“ in Kassel seine zweite Ausstellung unter der Leitung von Susanne Pfeffer. Dieses Mal ist gleich eine Doppelausstellung zu sehen: nature after nature und The Night of Counting the Years.
Die Trennung von Natur und Kultur ist obsolet. Natur sind wir und alles, was uns umgibt. Natur macht und wird, Natur ist Subjekt und Material zugleich. Die von Susanne Pfeffer kuratierte Ausstellung “nature after nature“ zeigt künstlerische Positionen, die mit Materialien arbeiten, die uns umgeben und Natur konstituieren. Unterscheidungen zwischen synthetisch und organisch, mensch- und naturgemacht werden nicht hingenommen. Eine Natur nach der Natur, die sich von einem idealisierten und ideologisierten Begriff abgrenzt und neu gedacht werden muss. Fiberglas, Kunstharz, Sand und Straßenmüll bilden durchnässte Teerinseln (Marlie Mul). Transparente, mit Wasser, Stahl und Latex gefüllte Kissen aus nachgiebiger Plastikplane setzen Prozesse zwischen den Materialien in Gang (Olga Balema). Der digitale Scan der Haut einer Kupferkopfschlange wird mittels Licht auf kupferbeschichteten Kunststoff gedruckt. Seziert wird eine sprachlich wie bildlich transformierte Natur (Sam Lewitt). Teppiche, Dibond-Platten, Blech und Gummi formieren sich zu einer Agrarlandschaft (Nora Schultz).
Die Künstler der Ausstellung “nature after nature“ setzen sich mit einer Natur auseinander, die von sozialen wie ökonomischen Strukturen durchzogen ist. Einer Natur, die sich aus Materialien wie Epoxiden, Aluminium oder Beton zusammensetzt; die Grundbestandteil von Technologien ist, und sich in chemischen wie physikalischen Prozessen zeigt. Mit einer Natur, die jenseits ihrer sinnlichen Erscheinungsformen wirksam ist. Einer Natur, deren vielschichtige Wechselwirkungen Vorstellungen von Raum und Zeit sprengen. Dazu trägt auch bei, dass die Fenster des Fridericianums offen geblieben sind und die Besucher so in eine optische Interaktion mit den Exponaten innerhalb und der gestalteten Natur außerhalb des Gebäudes treten können. Die Ausstellung “nature after nature“ veranschaulicht eine Natur nach der Natur, die sich in ihren komplexen, globalen Transformationen allein in Ausschnitten erfassen und begreifen lässt.
Ganz anders dagegen die Einzelausstellung der ägyptischen Künstlerin Maha Maamoun, deren Installationen im Turm des Fridericianums auf vier Ebenen zu betrachten sind. Kuratiert von Nina Tabassomi konzentriert sich die erste institutionelle Einzelausstellung von Maha Maamoun auf ihre Filme, mit denen die Künstlerin bestehendem Bild-, Text-und Tonmaterial Geschichte injiziert: In Domestic Tourism II (2008) werden Cameo-Auftritte der Pyramiden von Gizeh im ägyptischen Kino seit den 1950er Jahren aneinandergereiht. Dabei avanciert das antike Weltwunder in seiner Funktion als Kulisse, vor der nationale, individuelle und sexuelle Identitätsfragen im ägyptischen Mainstreamkino verhandelt werden, zum Protagonisten eines dramatischen Spielfilms. Wenn in 2026 (2010) der Text eines zeitgenössischen Science-Fiction-Romans auf das Reenactment eines ikonischen Filmbildes aus den 1960er Jahren trifft, wird die Vorstellung von Imagination als Möglichkeitsraum ad absurdum geführt.
Auf Youtube gefundene, verwackelte Handyaufzeichnungen von der Erstürmung der Staatssicherheitsgebäude in Damanhur und Kairo im Frühjahr 2011 installiert Maamoun in Night Visitor: The Night of Counting the Years (2011) zu einem beschwerlichen Parcours der Vergangenheitsbewältigung. Auch in ihrem jüngsten Film Shooting Stars Remind Me of Eavesdroppers (2013) werden keine Schauspieler und Szenerien dirigiert, sondern Bild-und Tonaufnahmen aus dem al-Azahr-Park mit einem intimen Gespräch über Belauschen, Wahrheit und Vertrauen orchestriert.
Mit ihren Filmen durchforstet Maamoun das kulturelle Imaginäre nach historiografischen Klammern für die Gegenwart. Dies schlägt sich auch im Ausstellungstitel nieder, der dem kanonischen Film von Shadi Abdel Salam entliehen ist. Ihre Arbeiten zeigen, dass die Frage, ob Kunst den symbolischen Zirkel verlassen kann, um in der Lebenswelt wirksam zu werden, falsch gestellt ist: Es geht allein um das Wie. Denn die Kunst öffnet sich wie von selbst, wenn Maamoun symbolische Repräsentationen ernst nimmt und sie miteinander kollidieren lässt. Die beim Zusammenstoß entstehenden Risse in den Darstellungen ermöglichen es, die schmerzenden Punkte aktueller Auseinandersetzungen zu erahnen.
Beide Ausstellungen öffnen am 10. Mai um 17 Uhr und sind bis zum 27.7.2014 zu sehen.
Weitere Fotos finden Sie in einer Fotogalerie der GDN.
Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.