Musik
Springsteen Retrospektive - Ein Blick auf 50 Jahre Rock n Roll
Eine Buchbesprechung
Ryan White: Springsteen Retrospektive (Quelle: heldmann.photography)
GDN -
65 Jahre ist Bruce Springsteen vor einem Monat geworden und er ist - das meinen wohl nicht nur eingefleischte Fans - besser denn je. Ein Grund, auf eine Musikerkarriere zurückzuschauen, die noch längst nicht an ihrem Ende angekommen. Ryan White macht das mit “Springsteen Retrospektive“.
Der englische Originaltitel des 290 Seiten-Werks “Album by Album“ trifft meines Erachtens noch besser, um was es in diesem passend zur Frankfurter Buchmesse auf deutsch bei Edel (Rockbuch) veröffentlichten Buch geht. Der Autor Ryan White hangelt sich von vom ersten Studioalbum Springsteens, “Greetings from Asbury Park, N.J.“, bis zum aktuellen Werk “High Hopes“ durch die Karriere dieses einzigartigen Musikers aus New Jersey. Wie könnte man Leben und Wirken eines Musikers besser erschließen als durch seine Musik? Nun ist die allerdings in diesem prachtvollen Druckwerk leider nicht zu hören. Aber White gelingt es, die Entstehung der Alben und ihrer Songs in einer Weise zu schildern, bei der man als Leser tatsächlich das Gefühl bekommt, tief in die Gedankenwelt Springsteens eintauchen zu können.
“Keine schlechte Karriere für einen schüchternen Jungen aus einer heruntergekommenen Industrieregion New Jerseys“ sei es, wenn sogar der Präsident der Vereinigten Staaten bekennt, “I´m the President, but he is The Boss!“, meint Peter Ames Carlin im Vorwort zu diesem Band. Carlin, der 2013 die einzige von Bruce Springsteen offiziell autorisierte Biographie des Musikers veröffentlichte, ist wohl sein profundester Kenner außerhalb der Familie und des unmittelbaren persönlichen Umfelds. Mit seiner Einleitung adelt er das Werk von Ryan White. Er unternimmt dort bereits einen kurzen Abriss dessen vor, was später ausführlich folgt, und kommentiert die inzwischen 17 Studioalben Springsteens, stellt sie in einen größeren Kontext.
Ryan White, ein in Portland, Oregon lebender Journalist und Musikkritiker geht diese Aufgabe dann detailliert an. Dabei folgt das Buch einer strengen Systematik. Jedes der 18 Kapitel, das erste, “Heimat New Jersey“, befasst sich mit dem Leben Springsteens vor seinem ersten Album, das 1973 erschien, beginnt mit einem Zitat des Musikers. Dann folgt eine kurze Timetable mit wichtigen Ereignissen aus dem Zeitraum, den das Kapitel umfasst, bevor dann ein in einem lockeren Ton gehaltener vertiefender Text mit vielen Informationen zu dem jeweiligen Album, seinen Songs und anderen wichtigen Ereignissen, die damit einhergegangen sind, zur jeweiligen Periode folgt. Garniert ist das Ganze mit zahlreichen, teils bekannten, teils weniger bekannten oder bisher auch unveröffentlichten, oft großformatigen Fotos.
Der Band schließt mit einer detaillierten Diskografie sowohl der Studioalben als auch der offiziellen Livealben Springsteens. Alleine diese ist schon eine wunderbare Fundgrube für alle, die sich mit dem musikalischen Werk des Mannes aus New Jersey beschäftigen. Zu jedem Album erfährt man, wo es aufgenommen wurde, welche Musiker mitgewirkt haben, natürlich die Titelliste, Veröffentlichungsdatum und Chartplatzierungen ins US und UK. Dazu informiert der Autor über Covergestaltung, Label und Katalognummer und macht ergänzende Anmerkungen. Zusätzlich gibt es umfassende Listen der Singles, von Kompilationen mit und Gastauftritten bei Aufnahmen anderer Künstler.
Ob die langjährigen Fans des Boss´ wirklich Neues erfahren, sei dahingestellt. Ryan White verweist in seiner Danksagung darauf, dass ihm das Archiv Carlins ebenso als Quelle gedient hat wie die unendlichen Fundgruben www.backstreets.com und brucesbase.wikispace.com. Für all die vielen Jüngeren, die den Boss erst in den letzten zehn oder zwanzig Jahren für sich entdeckt haben und von denen bei den Konzerten rund über den Globus viele in den Stadien und Hallen begeistert auch die ganz alten Songs mitsingen und feiern, dürfte es lohnend sein, sich auf diese Weise den Kontext zu erschließen, in dem diese entstanden sind. Aber auch für jemanden, der sich schon seit dreißig oder noch mehr Jahren auf den Spuren Springsteens bewegt, ist “Retrospektive“ weit mehr als ein weiteres Schmuckstück für die wahrscheinlich schon umfangreiche Bibliothek über den Mann aus New Jersey. Ryan White hat mit seinem Buch noch einmal einen anderen Zugang zum (bisherigen) Lebenswerk Springsteens geschaffen. Beim kurzweiligen Lesen des Bandes kommen Erinnerungen hoch an den ersten Song, den man bewusst wahrgenommen hat (bei mir war es “Hungry Hearts“), das erste gekaufte Album (“The River“), das erste Livekonzert (1985 im Frankfurter Waldstadion) und viele andere Momente, bei denen sich der eigene mit dem Lebensweg von Bruce Springsteen berührt hat, sei es bei einer zufälligen Begegnung 1999 im New Yorker “Bottom Line“ (und einige Jahre später noch einmal im "Bitter End", ebenfalls in Greenwich Village), den letzten Konzerten, bei denen Danny Federici (2003 in Ludwigshafen) und Clarence “The Big Man“ Clemons (2009 in Philadelphia) mit auf der Bühne standen oder das unvergessliche “Geburtstagskonzert“ in der Nacht vom 22. auf den 23. September 2012 im MetLife Stadium in East Rutherford. Gerade die Chronologie des Buches verbindet die Alben, Touren und andere beschriebene Ereignisse mit der eigenen Lebenschronik.
Man muss aber auch ebenso deutlich sagen, eines ist “Retorspektive“ nicht, nämlich eine Biografie des Menschen Bruce Springsteen. Alles, was über die Privatperson zu erfahren ist, steht im zeitlichen und oft auch inhaltlichen Zusammenhang mit seinem Leben und Wirken als Musiker. Diese klare Fokussierung auf die öffentliche Person macht aber andererseits auch den Reiz des Buches von White aus. Denn es ist ja der Musiker Bruce Springsteen, auf den die Menschen aufmerksam werden, dessen Musik Millionen weltweit begeistert und verbindet und es ist seine Musik, durch die der Boss zu seinen Fans spricht. Mit seiner Musik kommentiert er das Zeitgeschehen, sei es mit “Greetings “¦“ und “The Wild, The Innocent & The E Street Shuffle“ seine Jugend und seinen Erfahrungshorizont in New Jersey, mit “The Rising“ die Zeit nach 9/11, würdigt mit den “Seeger Sessions“ die amerikanische Folkmusik und einen ihrer großartigen Vertreter oder gibt mit “Working On A Dream“ der Hoffnung in den Aufbruch nach der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der USA Ausdruck. Um die Musik geht es letztlich und darauf bezieht sich “Retrospektive“. “Warum sollte jemand in meinem Alter noch da rausgehen und sich derart verausgaben?“, zitiert White Bruce Springsteen aus dem Jahr seines fünfundsechzigsten Geburtstags. Das Buch gibt die Antwort auf diese Frage ebenso, wie der Boss sie selbst beantwortet: “Dafür kann es nur einen Grund geben: Er muss einfach:“
Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von GDN können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.