Kultur
Leander Haußmann inszeniert “Woyzeck“ am Berliner Ensemble
Chaplin begegnet Quentin Tarantino
Peter Miklusz und Soldaten (Quelle: Lucie Jansch)
GDN -
Mit Büchners Woyzeck bringt das Berliner Ensemble eines der in deutschen Theatern meistgespielten Stücke auf die Bühne. Leander Haußmann inszeniert das Drama als Soldatenstudie, die in ihren besten Momenten bildgewaltig, laut und kitschig wirkt.
Bereits eine knappe Stunde vor Vorstellungsbeginn hört man die im Gleichschritt stampfenden Soldaten und deren martialische Anfeuerungsrufe bis in das altehrwürdige Foyer des Berliner Ensembles hallen. Wer Leander Haußmann als Regisseur verpflichtet, darf sich nicht wundern, wenn es auf der Bühne laut zugeht. In den besten Augenblicken der zweistündigen Inszenierung spürt man, dass es dem Regisseur Spaß bereitet, der gediegenen Atmosphäre des Traditionshauses eine Prise Rock`n`Roll einzuhauchen und das gelingt ihm sogar mit einem derart tragischen Stoff wie “Woyzeck“.
Vermutlich begann Georg Büchner 1836 mit der Niederschrift von “Woyzeck“ und hinterließ nach seinem frühen Tod 1837 lediglich Textfragmente, weshalb es mehr als 70 Jahre dauerte, bis es im Residenztheater München zur Uraufführung des Dramas kam. Doch seitdem zählt es zu den meistgespielten Stücken in deutschen Theatern und wird dabei immer wieder neu interpretiert, denn gerade die fragmentarische Überlieferung gibt Regisseuren die Möglichkeit sich auszuleben und den Text unorthodox zu beleuchten.
Die Grundidee seiner Inszenierung hatte Leander Haußmann bereits bei den ersten Vorbesprechungen zu der geplanten Produktion im Kopf. “Ich brauche kein Bühnenbild, aber ich brauche 30 Soldaten. Die sind das Bühnenbild“, verkündete er sogleich. Nachdem Haußmann bereits 2005 in seinem Film “NVA“ persönliche Erfahrungen als Soldat einfließen ließ, entwirft er nun “Woyzeck“ als Soldatenstudie und Antikriegsstück. Dabei gelingen ihm mitunter großartige Szenen, wobei die Gesamtinszenierung stellenweise noch ein wenig unzusammenhängend wirkt. Dieser Eindruck mag sich aber in den kommenden Wochen noch auflösen, denn Haußmann hat seine Arbeit noch nicht beendet.
Drei Tage vor der Premiere erfolgte eine öffentliche Probevorstellung, die ganze viereinhalb Stunden dauerte. Anhand der Reaktion der anwesenden Gäste habe man erkannt, dass Veränderungen notwendig seien und so wurde die Aufführung in Windeseile auf zwei Stunden gekürzt. Nach einigen Vorstellungen hat Haußmann bemerkt, dass dabei ein Satz wie “Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht" verloren gegangen war und integrierte ihn kurzerhand wieder. Für die nächsten Tage wurden bereits neuerliche Proben anberaumt, denn es sind noch weitere Veränderungen beabsichtigt.
Die vorliegenden Fragmente Büchners erlauben es jedem Regisseur die einzelnen Elemente nach seinen Vorstellungen zusammenzufügen und damit den Weg Woyzecks zum Mörder neu zu beleuchten und zu interpretieren, denn eine Besonderheit der Woyzeckvorlage besteht darin, dass sie verschiedene Mordmotive Woyzecks, wie Eifersucht, eine psychische Störung oder auch eine aufgestaute Aggression gegen die Gesellschaft, ermöglicht und es dem jeweiligen Regisseur überlassen ist, wie er die Abfolge der Szenen gestaltet und gewichtet, um die Beweggründe Woyzecks offenzulegen.
Haußmann legt sein Hauptaugenmerk auf die militärische Hierarchie, in der Freiheit und Individualismus gezielt durch Verrohung und Gewaltbereitschaft ersetzt werden. Gleich zu Beginn lässt er seine 30 Soldaten in Montur und mit dem Maschinengewehr im Anschlag aufmarschieren und zeigt in den kommenden zwei Stunden, was Krieg aus einem Menschen macht.
Neben den auftretenden Soldaten stand für Haußmann von Beginn an fest, dass Musik eine zentrale Rolle bei der Inszenierung einnehmen sollte. “Ohne Musik geht bei mir gar nichts“ (L.Haußmann). Der Regisseur erschien mit einer bemerkenswerten Sammlung von Songs, die er vor allem während seiner Jugend in der ehemaligen DDR gehört hatte, zu den Proben. Verwendung finden vorrangig Antikriegssongs und Protestlieder, die er nicht gerade leise durch den Theatersaal erklingen lässt und man ahnt, welchen Spaß ihm dies bereitet.
Die Inszenierung Haußmanns ist zweifellos frecher, lauter und kühner als viele andere Produktionen des Berliner Ensembles. Da wird die Bühne in leuchtendrotes Licht getaucht, reichlich Kunstblut vergossen, nicht an Bühnennebel gespart und zu all dem dröhnt die Stimme von Jim Morrison aus den Lautsprechern. All das ist nicht gerade feinsinnig, aber es entfaltet mitunter eine enorme Kraft.
Leider verlieren mit der bildgewaltigen Inszenierung die einzelnen Charaktere auf der Bühne ein wenig an Tiefe. Ein Problem, das durch ein nicht eben beeindruckendes Ensemble noch verstärkt wird. Neben dem Hauptdarsteller Peter Miklusz, der seine wahrlich nicht leichte Aufgabe sehr gut macht, bleiben die meisten Darsteller eher blass. In dem Aufbau eines hochkarätigen Ensembles könnte für den zukünftigen Intendanten Oliver Reese ein Aufgabenschwerpunkt liegen.
Ob Leander Haußmann generell der richtige Mann für Gesellschaftskritik, politisches Theater und menschliche Abgründe ist, bleibt fraglich. Was er jedoch vortrefflich beherrscht ist das Erschaffen von ausdrucksstarken Bildern. In einer grandios choreografierten Jahrmarktszene besteigen die Soldaten ein imaginäres Karussell und scheinen in Zeitlupe über die Bühne zu schweben. Während Roy Orbison seine Einsamkeit besingt und seiner zerronnenen Liebe, die er einst am “Blue Bayou“ verloren hat, nachtrauert, treibt Woyzecks große Liebe Marie vor dessen Augen davon und lässt ihn, einsam und mit zwei Stangen Zuckerwatte, die vom aufkommenden Wind zerfetzt werden, in den Händen, zurück. Das ist ebenso kitschig und plakativ wie hinreißend.
Als Woyzeck seinem Hauptmann den Bart stutzt, steigert er sich, zu den Klängen der “Figaro“-Arie von Rossini, in einen regelrechten Blutrausch. So stellt man sich Szenen in einer von Quentin Tarantino gedrehten Chaplin-Neuverfilmung vor.
Haußmanns Inszenierung ist in den Momenten am stärksten, wenn sie übertreibt, zu dick aufträgt, keine Angst vor Plattheiten hat, überreizt und kitschig wirkt - eben genau dann, wenn Haußmann ganz Haußmann ist.
Haußmanns Inszenierung ist in den Momenten am stärksten, wenn sie übertreibt, zu dick aufträgt, keine Angst vor Plattheiten hat, überreizt und kitschig wirkt - eben genau dann, wenn Haußmann ganz Haußmann ist.
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