Musik

Die Waterboys präsentieren ihr neues Album “Modern Blues“ live in Köln

Things disappear, but I“™m still here


(Quelle: Mario Graß)
(Quelle: Mario Graß)
GDN - Vor einigen Tagen stellte die Folk-Rock-Band The Waterboys in der Kölner Essigfabrik ihr neues Album “Modern Blues“ vor. Die Musiker um Mike Scott überzeugten mit gradliniger Spielfreude und stellten unter Beweis, dass sie noch immer eine fantastische Band sind.
Seit nunmehr fast 35 Jahren jonglieren die Waterboys, je nach Stimmung von Mike Scott, dem einzigen konstanten Mitglied der Band, mit Stilen wie Rock, Folk, Blues, Country oder Songwritermusik, wenn sie nicht gerade mit der Vertonungen von Gedichten oder esoterischen Klängen überraschen. Manche Experimente endeten im Kitsch und manche Hymne schrammte nur haarscharf am Stadionrock vorbei. In den 1980er Jahren sagten ihnen Musikjournalisten mehrfach eine Karriere, vergleichbar mit jener von U2, voraus.
Aber irgendwie kam doch alles ganz anders, denn die künstlerische Laufbahn des gebürtigen Schotten Mike Scott lief nicht immer perfekt. Obwohl die Alben der Waterboys stets eine gewisse Qualität und Authentizität - gerade letzteres Merkmal ist leider nicht zwangsläufig karrierefördernd - besaßen, hat Scott durch seine musikalischen Richtungswechsel und stetigen Bandumformungen immer wieder für Verwirrung bei der potenziellen Anhängerschaft gesorgt.
Verfolgt man auf der Homepage der Waterboys die Bandhistorie, stößt man auf eine beeindruckend lange Liste, die mehr als 60 Namen enthält - allesamt einstige Bandmitglieder. Das unterstreicht nachdrücklich die Richtigkeit der Aussage vom einzigen ständigen Bandmitglied Mike Scott: “Für mich gibt es zwischen Mike Scott und den Waterboys keinen Unterschied; beide meinen das Gleiche. Es geht um mich und wer immer gerade meine musikalischen Wegbegleiter sind.“
Für sein aktuelles Album “Modern Blues“ hat Mike Scott abermals neue Wegbegleiter gefunden, aber erfreulicherweise mit Steve Wickham auch einen altbekannten Gefährten in die Band integriert. Entstanden ist ein frisches, entspanntes und dennoch kraftvolles Album, das die Band vor einigen Tagen in Köln live vor einem überraschend gemischten Publikum vorstellte.
Quelle: Mario Graß
Mit “Destinies Entwined“, einem idealen, kraftvoll-treibenden Opener, eröffneten die Waterboys das etwa zweistündige Konzert. Wenige Minuten später stürmte Steve Wickham, unter lautem Jubel der aufmerksamen Zuschauer, die Bühne. Ein großer Moment, denn oftmals verlieh der Geiger dem Sound der Waterboys in der Vergangenheit, wie auch an diesem Abend, den besonderen Glanz. Mitte der 80er Jahre stieß der geniale Musiker zu der Band und veränderte mit seinem Interesse für Folkmusik maßgeblich deren musikalische Ausrichtung. 1990 trennten sich die Wege, da sich Mike Scotts künstlerische Interessen erneut gewandelt hatten.
Quelle: Mario Graß
Es ist schlicht großartig, dass “the world“™s greatest rock fiddle player“ (Mike Scott), der bereits Songs von U2, Elvis Costello oder Sinéad O“™Connor veredelt hat, wieder an Bord ist und von der Sekunde an, als er zu seiner Geige griff, um in den Song einzusteigen, war spürbar, dass sich hier zwei großartige Künstler kongenial ergänzen. “Zwischen uns gibt es eine Art von Verbindung, etwas Unzerstörbares, das ich in meinem Leben sehr selten gefunden habe“, schwärmt Mike Scott.
Quelle: Mario Graß
Es folgte “Still a Freak“, ein Blues-Rock Song, bei dem der amerikanische Einfluss der gegenwärtigen Bandmitglieder deutlich hörbar ist. Das aktuelle Album wurde in Nashville - “der Stadt, die praktisch auf Musik erbaut ist“ (Mike Scott) - aufgenommen und Mike Scott versammelte im Studio, wie auch auf der Bühne in Köln, einige versierte Session-Musiker um sich.
David Hood
Quelle: Mario Graß
Ralph Salmins
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Zach Ernst
Quelle: Mario Graß
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Mit dem ruhigeren “November Tale“, dessen schöne Melodien, die Songwriterfähigkeiten von Mike Scott demonstrieren, entstammte auch der dritte Song des Abends dem Album “Modern Blues“. Wer eine Greatest Hits Show erwartet hatte, war definitiv am falschen Ort, denn Mike Scott hatte sich, auch wenn zunächst ältere Stücke, wie “A Girl called Johnny“, der “Glastonbury Song“ oder “The Three Day Man“ folgten, entschlossen, an diesem Abend das komplette neue Album zu spielen.
Da “Modern Blues“ wirklich gute Songs enthält, war dieses zwar eine gewagte aber auch gute Entscheidung und erfreulicherweise reagierte das Publikum durchweg positiv auf die neuen Lieder. Ein Stück wie “The Girl Who Slept for Scotland“, das auf dem Album stellenweise ein wenig kitschig geraten ist, präsentierten die Waterboys live deutlich pointierter, wohingegen es kaum überraschte, dass der stampfende Blues “Rosalind (You Married the Wrong Guy)“ geradezu darauf gewartet hat, live präsentiert zu werden.
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Mit “Nearest Thing to Hip“, ein Song, der mit jedem Hören wächst, erfolgte ein echtes Highlight, an einem Abend der kaum Spannungsabfall zu verzeichnen hatte. Fantastisch, weil aus tiefstem Herzen, gesungen, zeigt er das große Talent Mike Scotts, nämlich das des exzellenten Geschichtenerzählers. Mürrisch beklagt der 56jährige das Verschwinden seiner geliebten Buch- und Plattenläden. Die Band lieferte dazu eine einzigartige musikalische Mischung aus relaxter Souveränität und Spannungsreichtum, der spontanen Szenenapplaus beim Publikum hervorrief.
Es folgte “I Can See Elvis“, ein entspannt-verträumter Song, in dem Mike Scott äußerst humorvoll von ihm geschätzte, verstorbene Musiker wie Elvis, Marvin Gaye, Jimi Hendrix, Bob Marley, Keith Moon, Charlie Parker oder John Lennon besingt. Wobei der Musiker nicht zur Heldenverehrung neigt, denn “niemand von diesen Leuten zählt zu meinen Helden oder Idolen. Elvis hat viel für die sexuelle Befreiung getan und dazu beigetragen, dass weiße und schwarze Musik zusammenfinden. Andererseits war er ein rassistischer, sexistischer Redneck.“
Hört man genauer hin wird erkennbar, dass einem Song, der mit solch ungeheurer Leichtigkeit daherkommt, eine Menge Arbeit und Talent zugrunde liegt. Das musikalische Arrangement, das die vortreffliche Gitarren- und Orgelarbeit ausgewogen hält und die Fähigkeit Mike Scotts mit seinem Text lebendige Bilder im Kopf des Zuhörers entstehen zu lassen sind ebenso unzeitgemäß wie großartig.
Den laut Chartplatzierung erfolgreichsten Titel ihrer Karriere, “The Whole of the Moon“, zelebrierten die Waterboys geradezu theatralisch mit “Stille Nacht“ als Intro, Publikumsanimation und Bob Dylan-Parodie. “Long Strange Golden Road“, ein epischer, kraftvoller und schlicht toller Song mit einnehmendem Refrain, der jedoch schon aufgrund seiner Länge von mehr als 10 Minuten leider keine Radiotauglichkeit besitzt, aber zweifellos das Zeug zu einem Liveklassiker hat, stellte den Abschluss des Konzertes dar.
Quelle: Mario Graß
Mike Scott nimmt uns, vor dem Hintergrund von vorwärtstreibenden Beats, elektrisierenden Gitarren und einer wummernden Hammondorgel, mit auf eine Reise durch verwunschene Wälder, zu drehenden Karussells, durch Neon-Canyons und zu dem Geist von Dean Moriaty, dem Protagonisten aus dem Roman “On the Road“ von Jack Kerouac. Mike Scott, der Geschichtenerzähler, kommt hier voll zur Entfaltung und beschert uns großartige Zeilen wie “Keep your eye on the road / remember what you told her / this is all in code, my dear“ oder “I“˜m just a bunch of words in pants, and most of those are fiction“. “Long Strange Golden Road“ verdeutlicht mit einem fetten Ausrufezeichen das enorme Potenzial der Waterboys.
Als Zugabe folgte das locker-lebhafte “Beautiful Now“, das in die großartige, weil schonungslos-direkten Zeile mündet: “I“™m going to wrap my love around you“. “Mee, too“, antwortete spontan eine junge Frau lautstark aus dem Publikum, reckte enthusiastisch ein selbstgestaltetes Transparent empor und man konnte ihr, zumindest rein künstlerisch, nur beipflichten.
Quelle: Mario Graß
Das Konzert endete schließlich mit dem “Fisherman“˜s Blues“, dem Song bei dem Steve Wickham seiner Geige eine derart betörende Melodie entlockt, dass man nicht begreifen kann, dass Mike Scott über Jahre auf diesen Ausnahmemusiker verzichtet hat. Das Publikum schien auf diesen Song geradezu gewartet zuhaben. Es wurde getanzt, zahlreiche Arme reckten sich in die Höhe und Mike Scott freute sich sichtlich über diesen Anblick.
Die eingangs erwähnten Voraussagen mancher Kritiker haben sich nicht bewahrheitet. Die Waterboys vereinen keine Fangemeinde um sich, mit der sie die nahegelegene Lanxessarena hätten füllen können. Eine vergleichsweise kleine Location wie die Kölner Essigfabrik reichte allemal aus. Doch im Gegensatz zu einer Band wie U2, bei der die musikalische Entwicklung mit dem stetigen - manchmal geglückten, manchmal gescheiterten - Bemühen, ständig innovativ sein zu müssen, nicht Schritt halten kann, machen die Waterboys einfach gute Musik. Zudem ist es für die Fans ein Glücksfall, dass ihnen das Schicksal von U2-Anhängern, die mittlerweile mehr als 200€ für ein Konzertticket zahlen müssen, erspart geblieben ist.
Quelle: Mario Graß
“Ich wuchs mit Punkrock auf. Da waren die Musiker auf einer Ebene mit den Fans. Die Leute sollen mich nicht als Idol anhimmeln, sondern mich als Künstler sehen. Denn das ist mein Job.“ In dem Song “Still a Freak“ heißt es trotzig “Things disappear“¦ but I“™m still here!“ und das ist auch gut so, denn in der Musikszene kann es gar nicht genug Protagonisten wie Mike Scott geben, die derart authentisch und nicht berechenbar ihren Weg gehen.
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