Kultur
dOCUMENTA (13) - Versuch eines Rückblicks
Ausstellung zeitgenössischer Kunst
Am 16. September schließt die Documenta 13 (Quelle: heldmann-images)
GDN -
In wenigen Tagen endet die dreizehnte Documenta, die bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Alle fünf Jahre findet sie in Kassel statt. In diesem Jahr dauerte sie vom 9. Juni bis zum 16. September. Wie erfolgreich war diese von Carolyn Christof-Barkargiev kuratierte Documenta?
Vor der Documenta: Carolyn Christof-Barkargiev (CCB) hat es geschickt verstanden, das Interesse der Medien und Öffentlichkeit auf sich zu fokussieren. Nicht zuletzt ihr Interview in der "SZ", in dem sie eine Abkehr vom menschenzentrierten Kunstbegriff propagierte und für ein Wahlrecht für Hunde und Erdbeeren plädierte, lies die Debatten und Erwartungen hochkochen. Doch spätestens mit der Eröffnungspressekonferenz relativierte sich das. Frau Christof-Barkargiev erklärte, sie habe es als ihre Aufgabe gesehen, die Aufmerksamkeit der Medien von den Künstlern weg und auf sich zu lenken. Das ist ihr gut gelungen, denn einige der Künstler werkelten schon Monate vorher mehr oder weniger unbemerkt in Kassels Innenstadt und im Baraockpark Karlsaue. "Nun aber", so CCB, "spreche nicht mehr ich sondern die Kunst."
Dazu kam die Auseinandersetzung mit einer Kasseler Kirchengemeinde, die eine Skulturenausstellung Stephan Balkenhols veranstaltete. Christof-Barkargiev äußerte sich entsetzt, weil eine der Skulpturen im offenen Kirchturm in unmittelbarer Blicknähe zum des zentralen Friedrichsplatz installiert wurde - ohne vorherige Absprache mit ihr. Es kam zu heftigen Debatten über Ansprüche und Grenzen der Documenta und ihrer Leiterin, ja sogar Zensurvorwürfe wurden laut. Aber auch dieser Aufreger legte sich mit dem Start der Ausstellung ziemlich rasch.
Die Medien und die Kritiker: Nachdem Medien und Kritiker die dOCUMENTA (13) vor dem offiziellen Start durch den Bundespräsidenten drei Tage lang begutachten konnten, gab es zur allgemeinen Überraschung kaum negative Wortmeldungen. Nahezu einmütig wurde die Umsetzung des Leitmotivs "Zerstörung und Aufbau" gelobt. Sicher, hier und da war von Banalitäten die Rede, die extensive Erweiterung des Kunstbegriffs um Natur und Naturwissenschaften wurde gelegentlich in Frage gestellt und der Sinn der Documenta-Satelliten in Afghanistan, Ägypten und Kanada wurde bezweifelt. Aber alles in allem überwogen, und das bis heute, die positiven Rezensionen.
Die Besucher: Es bleibt eine akademische und eine müßige Diskussion, ob die Massenkompatibilät einer solchen Kunstausstellung einer Qualitätsmaßstab sein kann. Spätestens seit der MoMa-Ausstellung vor einigen Jahren in Berlin sind Besucherzahlen ein Indikator für den Ausstellungserfolg. Und nicht zuletzt sind sie auch für die Documenta GmbH von Bedeutung, muss doch ein erklecklicher Anteil der Gesamtkosten durch Eintrittsgelder und Merchandising wieder eingespielt werden. So gesehen, dürfte diese Documenta sehr erfolgreich gewesen sein. Schon von Beginn an gab es vor den Räumen, bei denen die Anzahl der Besucher begrenzt war, lange Schlangen. Statt kürzer wurden diese immer länger. Und auch vor anfänglichen "Geheimtipps" gab es Haufenbildungen, je länger die Ausstellung dauerte. An Wochenenden zogen sich Besucherschlangen über mehrere hundert Meter über den Friedrichsplatz und die Menschen warteten geduldig darauf, in das Fridericianum eingelassen zu werden. Auch wenn Besucherzahlen noch nicht mitgeteilt wurden, lassen diese Beobachtungen auf weit über 800.000 und damit einen neuen Documentarekord schließen.
Die Stadt: Wer, wie der Autor, nun die achte Documenta in Kassel erlebt hat, kann einen auffälligen Wandel in der Wahrnehmung feststellen. War es in den siebziger und auch noch in den achtziger Jahren eher so, dass von vielen Einheimischen die Documenta eher skeptisch wahrgenommen wurde, etwa so, als wäre ein UFO mit Außerirdischen gelandet und man müsse nur etwas Geduld mit ihnen haben, bis sie wieder verschwinden und das Leben ungestört weiter gehen würde. Die Documenta 10 polarisierte dann vor allem, weil sich die künstlerische Leiterin ehr abfällig über die Stadt äußerte. Aber schon damals war, vielleicht auch mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der Kasseler nach dem Wegfall der Randlage ihrer Stadt zu erklären, eine große Bereitschaft zur Identifikation mit der Documenta zu spüren.
Fünf Jahre zuvor war es der Himmelsstürmer, der die Menschen in der Stadt begeisterte. Für ihn spendeten sie, heute steht er, als zweites Wahrzeichen neben dem Herkules, vor dem Kulturbahnhof. Spätestens aber mit der Documenta 12 und Ai Weiwei und seinen 1001 Chinesen war die Zahl der Skeptiker auf ein kaum noch messbares Maß gesunken. Die Bürger der Documenta-Stadt Kassel sind inzwischen überwiegend stolz auf ihre Documenta. Und Carolyn Christof-Barkargiev hat dem noch einen neuen Aspekt hinzugefügt. Sie hat die Ausstellung in der Stadt in einer Weise verwurzelt, wie es zuvor noch nie gelungen war.
Zentraler Ort ist und bleibt natürlich das Fridericianum. Documentahalle, Kulturbahnhof und Neue Galerie gehören ebenso zu den traditionellen Standorten. Aber rund 50 Installationen, darunter die äußerst populären Penone-Baum und "Nothing do do garden" von Song Dong, in der Karlsaue gab es noch nie. Dazu hat Frau Christof-Barkargiev zum Teil "vergessene Orte" wieder in das Bewusstsein geholt: das seit über 30 Jahren leer stehende Hugenottenhaus, der Ballsaal eines ehemaligen Luxushotels, das frühere Premierenkino Kaskade, ein ehemaliges Finanzamt, der Weinbergbunker oder früherer Umschlaghallen in der Nähe des Kulturbahnhofs wurde in wunderbarer Weise zu Ausstellungsorten.
Die Perlen: Darüber, welches nun die ganz besonderen Installationen der dOCUMENTA (13) sind, wird es unzählige Meinungen geben. Wenn man die Besucherströme als Maßstab nimmt, gehören das Hugenottenhaus, Geoffrey Farmers “Leaves of Grass“ und die Videoinstallation von William Kentridge ohne Zweifel dazu. Für mich persönlich sind die Perlen dieser Documenta die Audioinstallation "Klangtest" von Susan Philipz im Kulturbahnhof, die Kreidezeichnungen von Tacita Dean im früheren Finanzamt Spohrstraße, die Tanz- und Gesangsperformance von Tino Sehgal im Hinterhof des Hugenottenhauses, Wedemeyers Videoinstallation zum Kloster Breitenau in den Hallen des Kulturbahnhofs und der Tierstimmenpfad von Natascha Sadr Haghighian an der Schönen Aussicht. Aber wie gesagt, dass ist subjektiv und keinesfalls repräsentativ.
Was bleibt: Wie bei jeder Documenta wurden auch bei dieser einige der Objekte von der Stadt Kassel gekauft und bleiben den Bürgern Kassels erhalten. Eine Außeninstallation ist dieses Mal nicht dabei, obwohl bei einer nicht repräsentativen Abstimmung eine Mehrheit den Bronzebaum von Penone gerne in der Stadt behalten hätte. Als Pendant zu den 7000 Eichen von Beuys hätte das auch bestens gepasst.
Bleiben wird aber mit Sicherheit ein neues Bewusstsein für die heimlichen Schönheiten Kassels. CCB hat es geschafft, dafür den Blick zu erweitern. Auch wenn das Kaskadekino nach den zuletzt bekannt gewordenen Plänen unter einem gläsernen Sarkophag verschlossen werden soll . Und wenn die Zukunft des Hugenottenhauses ebenso unklar ist wie des Finanzamtes. Und was bleibt, ist schon jetzt das Bedauern, dass eine lohnenswerte Documenta zu Ende geht. Aber es bleibt ja auch die Vorfreude auf 2017, auf die Documenta 14.
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