Kultur

“THE HOMEMAKER“ (NOAH HAIDLE) AM SCHAUSPIEL HANNOVER

Poesie, Tragik, Humor und Trash

GDN - Mit “The Homemaker“ bringt das Staatstheater Hannover eine Weltpremiere auf die Bühne. Der US-amerikanische Autor Noah Haidle erzählt eine surreale Geschichte über große Fragen des Lebens. Die Regisseurin Anna Bergmann setzt die Vorlage mit vielen, teils spektakulären Einfällen in Szene.
Als die Zuschauer ihre Plätze im Schauspielhaus Hannover einnehmen, ist auf der Bühne die Hausfrau Rebecca bereits eifrig damit beschäftigt das Abendessen, “ein neues Flunder-Rezept“, zuzubereiten. Gut gelaunt und schwungvoll bewegt sie sich zu den Klängen der Songs, die im Radio erklingen, durch ihre Wohnküche, während ein stürmischer Regen, der zunehmend apokalyptische Ausmaße annimmt, gegen die Scheiben der Küchenfenster prasselt. Doch schon bald stellt sich die Frage, für wen sich Rebecca mit der Zubereitung des Fisches so viel Mühe gibt. Es gibt niemanden, der ihn essen wird und so entwickelt sich das “neue Flunder-Rezept“ zu einer tieftraurigen Metapher.
Wie bereits in seinen Stücken “Lucky Happiness Golden Express“ oder “Smokefall“ verortet Autor Haidle seine bizarre Handlung in eine, zumindest auf den ersten Blick, gewöhnliche amerikanische Familie und abermals erweist sich gerade diese soziale Gemeinschaft als besonders geeignet, um eine vielschichtige und absonderliche Geschichte zu entwickeln.
Vor einem Jahr hat Rebeccas Ehemann die Familie verlassen, um sein Glück zu suchen. Michael, ihr gemeinsamer Sohn, ist derweil aufgebrochen, um wiederum seinen Vater zu suchen. Rebecca hingegen ist, zusammen mit ihrer Tochter Rachel, geblieben. Sie bemüht sich weiterhin aufopferungsvoll darum, täglich ein Zuhause zu schaffen und hofft derweil auf die Rückkehr der beiden Männer. Im Verlaufe des Abends bekommt sie Besuch von ihrer Nachbarin Gladys, einem Vergewaltiger sowie einem Zeugen Jehovas, der den Weltuntergang ausruft. Vor dem Hintergrund der Flut, die draußen immer bedrohlicher und zerstörerischer anschwillt, führt Rebecca höflichen Small-Talk.
Rebecca hat ihr Leben der Familie gewidmet. Sie ist “the Homemaker“, eine Rolle die über Tätigkeiten wie kochen, waschen oder bügeln hinausgeht. Rebecca möchte ein Zuhause schaffen, einen Raum der Geborgenheit bietet und in dem Vertrauen und Liebe herrschen. Doch war dieser Lebensweg richtig? Ist dieses tatsächlich der Sinn ihres Lebens? Rebeccas Welt gerät zunehmend ins Wanken.
Noah Haidle zählt zu den derzeit interessantesten Autoren des amerikanischen Theaters. In seinen Stücken, die stets zwischen Komödie und Tragödie pendeln, beleuchtet er die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens oder der Suche nach dem Glück. Es geht um Liebe und Tod, Verlust und Einsamkeit, Träume und Enttäuschungen. Aus der zeitlichen, räumlichen und sozialen Konzentrierung - “The Homemaker“ spielt an einem Abend, in einem Haus, innerhalb einer Familie - gelingt es ihm, große Gedanken zu entwickeln.
Erzählerisch mischen sich in die zunächst sehr realistische Ausgangsszene schnell surreale und groteske Momente, bis schließlich Wirklichkeit, Träume, Vergangenheit und Fantasien ineinander verschmelzen und kaum noch voneinander zu unterscheiden sind. Poesie, Tragik, Humor und Trash gehen dabei eine eigenwillige und oftmals verwirrende Verbindung ein.
Trotz der sich ausbreitenden Apokalypse, bemüht sich Rebecca mit aller Kraft und ohne Schwächen zu zeigen, die an sich selbst gestellte Aufgabe zu erfüllen. Ihr Alltag kontrastiert mit dem Wahnsinn, der um sie herrscht, wodurch Haidle die Anforderungen, die an einen “Homemaker“ gestellt werden, ins Extreme und Groteske überspitzt. “Kaum bist Du den Vergewaltiger los, kommt ein Hai vorbei. Immer ist irgendetwas.“ (Rebecca)
Noah Haidle hat das Stück seiner Mutter, mit der er auch zusammen zur Premiere nach Hannover angereist ist, gewidmet. “The Homemaker“ weist einige autobiografische Züge auf. So ist die Handlung in Haidles Heimatstadt Grand Rapids (Michigan) verortet und seine eigene Mutter habe er durchaus als einen “Homemaker“ erlebt.
Haidle gibt Samuel Becket als eine seiner Inspirationen an und in der Tat kann man auch an diesem Abend ein wenig “Warten auf Godot“ aufblitzen sehen. In Beckets Stück vertreiben sich die beiden Landstreicher Estragon und Wladimir mit sinnfreien Spielchen und Diskussionen die Zeit. Rebecca bereitet ihre Flunder zu, während sie auf ihren Mann wartet und um sie herum die Welt förmlich aus den Angeln bricht. “Warum zu Abend essen, wenn die Welt untergeht? Weil es nichts anderes zu tun gibt.“ Doch im Gegensatz zu Becket, bei dem das Warten mit einer lähmenden Leere und Stillstand einhergeht, geschieht in Haidles Geschichte ungeheuer viel und Regisseurin Anna Bergmann setzt dies entsprechend spektakulär in Szene.
Seit 2003 inszeniert Anna Bergmann Theaterstücke und hat bereits mit zahlreichen ihrer Arbeiten für Aufsehen gesorgt. Die Uraufführung von “The Homemaker“ ist ihre erste Produktion am Schauspiel Hannover und auch diese wird zweifelsohne in Erinnerung bleiben. Abermals sprüht Bergmann geradezu vor Ideen. Auf der Bühne wird gesungen, mit Lichteffekten gearbeitet, sieben Versionen von Rebecca verwandeln die Küche in eine Revue, ein Walfisch schiebt sich aus dem Hintergrund nach vorne, es fließt reichlich Wasser und Blut, Bühnenwände verschieben sich (Bühne: Florian Etti) und der für den Sound verantwortliche Heiko Schnurpel zeigt sein ganzes Können und sorgt für erstaunliche, atmosphärische Effekte.
Anna Bergmann nennt Peter Zadek, als jemandem, von dem sie sehr viel gelernt habe, unter anderem “dass die Besetzung 80 Prozent der Inszenierung ausmacht.“ Auch in dem Bereich kann die Inszenierung punkten. Bea Brocks, Oscar Olivo, Lisa Natalie Arnold, Christoph Müller und Philippe Goos verkörpern wunderbar ihre jeweiligen Figuren. Herauszuheben ist sicherlich Katja Gaudard, die als Rebecca eine furiose Performance zeigt und dafür am Ende der Vorstellung donnernden Applaus vom Publikum erhält.

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