Kultur
“Das Beste aller möglichen Leben“ (Noah Haidle) am Schauspiel Essen
Sex ist wie Müll raustragen
(Quelle: Thilo Beu)
GDN -
Mit “Das beste aller möglichen Leben“ bringt das Schauspiel Essen eine Uraufführung auf die Bühne. Der US-amerikanische Autor Noah Haidle erzählt eine groteske Geschichte, die viele Fragen aufwirft, zum Nachdenken anregt und von Thomas Krupa vergleichsweise sanft und zurückhaltend inszeniert wurde.
Christopher führt einen messerscharfen Gottesbeweis und serviert seinen Eltern nebenbei pochierte Eier zum Frühstück. Das Besondere an dieser Szene sind weniger Christophers herausragender Geist und sein Kochtalent, sondern vielmehr die Tatsache, dass er erst seit etwa einer Stunde auf der Welt ist. In aller Frühe lag der Neugeborene in einem Körbchen vor der Tür von East und Naomi und während diese sich noch beraten, wie sie den Kleinen nennen und ob sie ihn bei sich behalten können, kann dieser bereits sprechen, wenig später Klavier spielen, tanzen und mathematische Gleichungen lösen. Er wächst rapide, trinkt Kaffee und raucht. Christopher lebt ein Leben im Zeitraffer und lebt ein Menschenleben in gerade einmal 2 Stunden.
Noah Haidle zählt zu den derzeit interessantesten Autoren des US-amerikanischen Theaters. In seinen Stücken, die stets zwischen Komödie und Tragödie pendeln, beleuchtet er die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens oder der Suche nach dem Glück. “Das beste aller möglichen Leben“ ist sicherlich nicht Haidles stärkstes Stück, was vor allem an der weniger feinen Figurenzeichnung liegt, die seine Texte oftmals besonders auszeichnen.
Aus der zeitlichen, räumlichen und sozialen Konzentrierung - “Das beste aller möglichen Leben“ spielt in Realzeit, in einem Zimmer, innerhalb einer Kleinfamilie - gelingt es ihm dennoch, große Gedanken zu entwickeln. Es geht um Liebe und Tod, Verlust und Einsamkeit, Träume und Enttäuschungen. Wie sollen wir die Zeit nutzen, die uns auf dieser Welt gegeben ist? Was ist der Sinn unserer Existenz? Kann ein Leben sinnvoll gestaltet werden?
Christopher, quasi aus dem Nichts in das Leben geworfen, das er nun im Zeitraffer verstehen und bewältigen muss, analysiert und seziert messerscharf das Dasein seiner “Eltern“, deckt gnadenlos Schwächen und Ängste auf und kommt zu der niederschmetternden Erkenntnis, dass das Leben letztlich eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen sei, von denen sich die Menschen, um dem Schmerz zu entgehen, allein durch ihre Gewohnheiten ablenken würden.
Sie stehen täglich zur gleichen Zeit auf, verrichten ihr Tagwerk und in letzter Konsequenz sei selbst Sex “wie Müll raustragen“. “Wo ist denn da der Sinn?“, fragt Christopher rhetorisch, denn er hat längst für sich erkannt, dass es keinen gibt. Dass die allermeisten Menschen dennoch leben, statt sich schlicht umzubringen, erklärt er sich damit, dass sie auf kurze Glücksmomente hoffen. “Der Rest ist scheiße!“
Thomas Krupa hat das groteske Stück inszeniert und auch das Bühnenbild entwickelt. Er lässt die Handlung in einem orange-braunen Kasten stattfinden, aus dem lediglich eine kleine Tür hinausführt und beschränkt die Verwendung von Requisiten auf ein Minimum. Diese Grundideen der Inszenierung führen einerseits dazu, dass der Text deutlich im Vordergrund steht. Andererseits entwickelt sich aber auch keine emotionale Nähe zu den Akteuren. Sie bleiben fremd.
Über manche Textstellen geht die etwas nüchterne Inszenierung ein wenig zu sanft hinweg - etwa wenn Christopher seine Hand auf die Herdplatte drückt, um endlich intensive Gefühle spüren zu können oder er gar seine eigenen “Eltern“ vergewaltigt. Hier wären größerer Mut und die Bereitschaft, den Zuschauern etwas mehr zuzumuten, wünschenswert gewesen.
Somit hätte man die Textvorlage sicherlich inspirierender umsetzen können. Um einen lohnenden Theaterabend handelt es sich dennoch, denn “Das beste aller möglichen Leben“ ist ein Stück, das zum Nachdenken, Diskutieren und Hinterfragen von Grundannahmen anregt.
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