Kultur

“Mutters Courage“ von George Tabori am Staatstheater Kassel

Intim, berührend & zärtlich


(Quelle: N.Klinger)
(Quelle: N.Klinger)
GDN - “Mutters Courage“ von George Tabori - nach zehn Jahren unternimmt das Staatstheater Kassel eine Neubefragung des Stückes, das bereits von 2004 bis 2006 im Spielplan war. Die Zuschauer erleben einen berührenden Abend, der Taboris großartigen Text in den Mittelpunkt stellt.
Es ist die im Grunde unmögliche Geschichte einer sechzigjährigen Jüdin, die 1942 in Budapest verhaftet, im Viehwagen Richtung Auschwitz deportiert wird und bei einem Halt nahe der ungarischen Grenze das Unvorstellbare wagt, die George Tabori einst aufgeschrieben hat. Die alte Dame erklärt einem NS-Offizier, ihre Verhaftung sei Unrecht, sie habe einen Schutzausweis des Roten Kreuzes - nur leider nicht bei sich. Der Offizier denkt nach und setzt die Frau in den Zug zurück nach Budapest. Sie wird die einzige von 4030 Menschen sein, die diesen Transport überlebt.
Diese eigentlich unmögliche Geschichte ist eine wahre Geschichte. Erlebt hat sie Elsa Tabori und ihr eigener Sohn hat sie als Theaterstück aufgeschrieben. George Tabori (1914 - 2007) war ein Drehbuchautor, Schauspieler, Schriftsteller, Dramatiker und Spielmacher, ein Ausdruck, den er dem des “Regisseurs“ vorzog. Tabori besaß ein ungeheuer feines Gespür für den Witz im Kontext des Grauens und setzte in seinen Theaterstücken Rassismus und Massenmord oft eine geschmackvolle, manchmal auch absurde Komik entgegen. “All seine biografischen Adern fließen zusammen: ungarische Nonchalance, angelsächsischer Humor, amerikanische Leichtfüßigkeit, jüdische Chuzpe und mitteleuropäischer Tiefsinn“, schrieb einst die NEUE ZÜRICHER ZEITUNG.
Unzählige Male ist “Mutters Courage“ mittlerweile aufgeführt worden, womit die Geschichte der Elsa Tabori als Erfahrungsschatz an folgende Generationen weitergeben wurde und das Stück zu einem Bestandteil einer “oral history“, einer Methode der Geschichtswissenschaft, bei der Zeitzeugen, weitestgehend unbeeinflusst, ihre Erfahrungen darstellen, geworden ist.
Diesen Gedanken nimmt die Kasseler Inszenierung ernst. Das klare, von Pia Janssen geschaffene Bühnenbild, ermöglicht den Zuschauern vom ersten Moment an eine große emotionale Nähe zu den beiden Akteuren auf der Bühne. Ursina Zürcher hat entsprechend realistische Kostüme entworfen, die die distinguierte und intime Wohnzimmeratmosphäre wunderbar zur Geltung bringen.
Donald Berkenhoff hat das Stück mit spürbarem Respekt vor dem Text inszeniert, diesen nicht durch Verfremdungen oder eitle Regieeinfälle überdeckt, sondern ihn klar in den Mittelpunkt gestellt. Das ist erfreulich, denn es ist ein großartiger Text, den George Tabori der Nachwelt hinterlassen hat. In geschliffenen, sprachlich gekonnt formulierten Sätzen erzählt er eine unglaubliche, anrührende und traurige Geschichte, die er mit überaus feinem Humor und großer Zärtlichkeit wiedergibt.
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Die beiden Schauspieler Thomas Bockelmann, Intendant des Staatstheaters Kassel, und die wunderbare Sigrun Schneider-Kaethner erzählen ausdrucksvoll und berührend die Geschichte der Else Tabori, schlüpfen dabei gelegentlich in andere Rollen, etwa die des NS-Offiziers, und wechseln fließend von Dialogen zu Monologen, was dem Text zusätzliche Lebendigkeit verschafft. Sie erzählen den Zuschauern in bester Tradition eine Geschichte und zugleich Geschichte.
“Es ist ein Welttheater, jedes Leben.“ (George Tabori)

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