Kultur
“Ich will keinen Realismus. Ich will Zauber.“
Endstation Sehnsucht (Theater Kassel)
(Quelle: N.Klinger)
“Ich will keinen Realismus. Ich will Zauber“, beschreibt Blanche DuBois ihre Sehnsüchte und offenbart damit ihren verzweifelten Willen, sich an ihre schwindenden Träume zu klammern. Einige Tage zuvor ist sie in New Orleans angekommen, wo sie mit der Straßenbahn bis zu der Endstation “Sehnsucht“ gefahren ist, um bei ihrer Schwester Stella Zuflucht zu finden. Divenhaft, in weiß gekleidet und mit breitkrempigem Hut und Sonnenbrille ausgestattet, erscheint sie wie einem Hollywoodfilm entsprungen. Ihren Koffer hinter sich herziehend wirkt sie vom ersten Augenblick an wie ein Fremdkörper in der kleinbürgerlichen Welt, in der ihre Schwester gemeinsamen mit ihrem Ehemann Stanley, einem polnischen Einwanderer, lebt.
Kaum angekommen in diesen beengten und schäbigen Verhältnissen, schwärmt Blanche, Lehrerin an einem Gymnasium, von ihrer vornehmen Vergangenheit auf dem Familienanwesen “Belle Rêve“ (“Schöner Traum“), das jedoch seit Langem nichts anderes mehr ist als eben genau dies: ein schöner Traum. Das Haus hat sie verloren, da die Hypotheken nicht mehr zu bezahlen waren. Nach und nach kommen die Geheimnisse, die Lebenslügen, mit denen Blanche versucht ihre Stabilität zu bewahren, ans Licht, da vor allem Stanley seine Schwägerin schnell durchschaut.
Nach dem Selbstmord ihres Mannes ist Blanche zu einer Alkoholikerin geworden, die wahllos ihre Liebhaber wechselt und schließlich aus dem Schuldienst entlassen wurde, da sie einen ihrer Schüler verführt hatte. Getrieben von ihrer Vergangenheit, den verblassten Träumen und dem dringenden Wunsch begehrt zu werden, stürzt sie sich in eine Affäre mit Stanleys Freund Mitch, während sie dem rohen und oftmals brutalen Stanley vom ersten Moment an mit einer Mischung aus Verachtung und Faszination begegnet.
Tennessee Williams gewann für seine Schilderung dieser getriebenen Frau, deren Realität sich zunehmend in ihren Träumen auflöst, 1948 den Pulitzer Preis. Elia Kazans Verfilmung von 1951 wurde mit Vivian Leigh und Marlon Brando zum Welterfolg.
Lange Zeit wusste der Autor nicht, wie er das Stück betiteln sollte, bis er sich an die “desire line“, eine Straßenbahnlinie in New Orleans, erinnerte, deren Endstation tatsächlich “desire“ (“Verlangen, Sehnsucht“) hieß.
Lange Zeit wusste der Autor nicht, wie er das Stück betiteln sollte, bis er sich an die “desire line“, eine Straßenbahnlinie in New Orleans, erinnerte, deren Endstation tatsächlich “desire“ (“Verlangen, Sehnsucht“) hieß.
Im Zentrum der Kasseler Inszenierung von Markus Dietz steht die Auseinandersetzung zwischen der kultiviert erscheinenden, aber innerlich zerfallenden Blanche (Caroline Dietrich) und dem rohen, mitunter vulgären und vor allem auf seine Körperlichkeit (beruflich, wie auch in seiner Beziehung zu Stella) setzenden Stanley (Artur Spannagel). Abgesehen von Blanches Schwester Stella (Alina Rank), wird den weiteren Figuren leider wenig Raum für eine differenzierte Darstellung gegeben.
Über weite Strecken des Abends gehört die Bühne Caroline Dietrich, die mit großer Präsenz und viel komischem Talent eine Frau verkörpert, die der Realität aus dem Weg geht und stattdessen in einer von Träumen und Einbildungskraft geprägten Welt lebt. “Ich rede von dem, was sein sollte, nicht von dem, was ist“. Blanche sucht Bestätigung und Schutz, ist aber aufgrund ihres inneren Zwanges, sich hinter einer Maskerade zu verbergen, nicht in der Lage wahrhaftige und tiefe Beziehungen einzugehen und flüchtet sich stattdessen in zahlreiche Affären. “Ich habe mich immer auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen“ - ein Satz, der die ganze Traurigkeit ihres Lebens zum Ausdruck bringt.
Mayke Hegger hat ein ansprechendes Bühnenbild geschaffen, in dem die Requisiten von den Schauspielern im Verlaufe des Abends wiederholt neu arrangiert werden, wodurch immer wieder neue Raumeindrücke entstehen. Der vollständig mit Sand bedeckte Bühnenboden suggeriert Hitze, Schmutz und auch eine gewisse Trägheit, während die Stahlwände, die den Bühnenraum begrenzen, das Geschehen in eine industriell geprägte Umgebung verorten.
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