Kultur

Ausstellungseröffnung “Das imaginäre Museum“ in Frankfurt

Ein europäisches Museum auf Zeit im MMK


Isa Genzken, Oil XV & Oil XVI, 2007 (Quelle: Mario Graß)
Andy Warhol, 100 Campbell's Soup Cans, 1962
(Quelle: Mario Graß)
GDN - Drei renommierte europäische Museen für moderne und zeitgenössische Kunst - das Centre Pompidou, die Tate und das MMK Museum für Moderne Kunst - führen bedeutende Werke aus ihren Sammlungen zusammen. In Frankfurt wurde die Ausstellung im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt.
On Kawara, One Million Years, 1999
Quelle: © MMK Frankfurt am Main © On Kawara
Den konzeptuellen Ausgangspunkt für die Ausstellung bildet eine Zukunftsvision: Wir schreiben das Jahr 2052. Die Museen sind von der Auslöschung bedroht und die Kunst verschwindet aus der Gesellschaft. Vor dem Hintergrund eines solchen Science-Fiction-Szenarios werden derzeit in Frankfurt über 80 Hauptwerke der zeitgenössischen Kunst vereint. Drei große europäische Sammlungen verbinden sich zu einem europäischen Museum auf Zeit. Die Bandbreite der gezeigten Werke reicht von bedeutenden künstlerischen Positionen aus den 1920er-Jahren bis in die jüngste Gegenwart. Unter anderem sind Arbeiten von Louise Bourgeois, Marcel Duchamp, Isa Genzken, On Kawara, Claes Oldenburg, Sigmar Polke, Bridget Riley, Andy Warhol und vielen mehr zu sehen.
Die Ausstellung ist inspiriert von Ray Bradburys 1953 erschienenem Science-Fiction-Roman Fahrenheit 451 und dessen legendärer Verfilmung von François Truffaut. Bradbury entwirft das Bild einer Zukunft, in der literarische Werke aus der Gesellschaft verbannt sind. Die einzige Möglichkeit, sie für nachfolgende Generationen zu bewahren, liegt darin, die Werke zu erinnern. Die Ausstellung Das imaginäre Museum führt in eine Zeit, in der die präsentierten Kunstwerke kurz vor ihrer Vernichtung stehen.
So wie Bradburys “Büchermenschen“ die literarischen Werke nur durch Auswendiglernen vor dem Verschwinden bewahren können, lädt die Ausstellung die Besucher dazu ein, sich die gezeigten Werke einzuprägen. Die Betrachter können sich die Werkbeschriftungen mitnehmen und um ihre persönlichen Erinnerungen in Form von Skizzen, Notizen oder Zeichnungen ergänzen.
MMK Direktorin Dr. Susanne Gaensheimer
Quelle: Mario Graß
MMK Direktorin Dr. Susanne Gaensheimer erläuterte im Rahmen einer Pressekonferenz die Konzeption der Ausstellung, bei der letztlich die Frage nach der Bedeutung von Kunst gestellt werde. “Was würden wir verlieren, wenn die Kunst verschwunden ist?“ Dies sei durchaus keine rein hypothetische Frage, denn derzeit geschehe es bereits, dass beispielsweise durch Terrororganisationen Kulturgüter gezielt vernichtet würden. Auch verändere sich, nicht zuletzt durch neue Medien und Kommunikationsformen, der Zugang zur Kunst. In der Tat kann sich jeder Interessierte mittlerweile beispielsweise Da Vincis “Mona Lisa“ per Mausklick gewissermaßen ins Wohnzimmer holen, ohne dafür den Louvre in Paris besuchen zu müssen.
Prof. Dr. Felix Semmelroth
Quelle: Mario Graß
Kulturdezernent Prof. Dr. Felix Semmelroth betonte bei seinen Erläuterungen die Bedeutung von Museumssammlungen und den Aspekt, dass bei dieser Ausstellung Teile von Museumssammlungen zu einem europäischen Museum auf Zeit zusammengetragen werden. Er sieht in jüngerer Vergangenheit die Tendenz zu spektakulären “Blockbuster-Sonderausstellungen“, denen sowohl finanzieller wie auch Aufmerksamkeitsdruck zugrunde lägen. Angesichts von zunehmendem Einfluss von Wirtschaftsberatern, die nicht selten den lukrativen Verkauf von Werken aus Sammlungen empfehlen, auf die Museumslandschaft, befürchtet er gar “einen Ausverkauf unseres europäischen Kulturverständnisses“ und plädiert für die Pflege von Sammlungen.
Peter Gorschlüter
Quelle: Mario Graß
Peter Gorschlüter, Kurator der Ausstellung, berichtete, dass bei der Entwicklung des Ausstellungskonzepts zwei Fragenkomplexe im Zentrum der Überlegungen standen. Zum einem die Frage was der Gesellschaft verloren gehen würde, wenn es keine Kunst mehr gäbe und zum anderem die Frage, wie man Kunst, die im Verschwinden begriffen ist, bewahren könne. Insbesondere auf die zweite Frage habe man noch keine Antwort gefunden, sondern wage ein Experiment mit den Besuchern. Die Idee sei dabei, dass jeder Besucher einer Ausstellung ein Museum mit Gedanken, persönlichen Verbindungen und Emotionen verlasse und diese als Erinnerungen mit nach Hause nähme. “Wir wollen diese Erinnerungen wieder zurück in das Museum holen.“
Sigmar Polke, Kartoffelmaschine
Quelle: The Estate of Sigmar Polke,Cologne / VG Bild-Kunst
M.Kippenberger, Modern House of Believing or Not
Quelle: Estate of M. Kippenberger, Galerie Gisela Capitain
Wall, Jeff: Odradek, Taboritskà 8, Prag
Quelle: © MMK Frankfurt am Main © Jeff Wall
Der Ausstellungstitel verweist auf das “Musée imaginaire“ des französischen Schriftstellers und Politikers André Malraux (1901-1976), der die These vertrat, dass sich ein jeder durch die fotografische Reproduktion von Werken sein persönliches Museum zusammenstellen könne - losgelöst von Zeit und Raum. “Das imaginäre Museum“ schafft, so Malraux, eine Kunst der Fiktion, in der die Wirklichkeit wie in Romanen von der Fantasie abhängig ist.
Claes Oldenburg, Soft Typewriter Ghost Version
Quelle: © MMK Frankfurt am Main © Claes Oldenburg
Die Zukunftsvision erlebt der Besucher auf einem in neun Stationen unterteilten Rundgang, bei dem die einzelnen Abschnitte nach Werken der Weltliteratur benannt sind. Im Abschnitt Die Verwandlung werden jene Kunstwerke zu finden sein, welche die Fähigkeit haben, Alltagsgegenstände zu transzendieren, wie Andy Warhols 100 Campbell“™s Soup Cans (1962) oder Claes Oldenburgs Soft Typewriter, Ghost-Version (1963) aus der Sammlung des MMK. Das Kapitel Die Vermessung der Welt vereint Arbeiten, die Naturphänomene, Ordnungssysteme und abstrakte Begriffe erfassen.
Die Zeitmaschine lässt unter anderem mit Dan Grahams Videoinstallation Present Continuous Past(s) (1974) aus der Sammlung des Centre Pompidou die Besucher durch die Zeit reisen und mit Absalons Cell No. 1 (1992), einer futuristisch anmutenden Wohneinheit aus der Sammlung der Tate, stellen sich Fragen nach dem Verhältnis zwischen der Selbstbestimmung des Individuums und den Gesetzen der Gesellschaft.
Ausstellungsansicht
Quelle: Mario Graß
Ausstellungsansicht
Quelle: Mario Graß
Ausstellungsansicht
Quelle: Mario Graß
Nach ihrer Laufzeit eröffnet die Ausstellung noch ein letztes Mal für ein großes Abschlusswochenende. Die Kunstwerke sind dann fast alle entfernt und durch Personen ersetzt, die durch ihre persönlichen Erinnerungen und Interpretationen die Ausstellungsstücke wiedergeben und sie auf diese Weise zurück ins Bewusstsein rufen. Die Besucher werden zu Botschaftern der Kunst, zu “Bildermenschen“, welche die Ausstellung in ein lebendiges Museum verwandeln.
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