Kultur

William Kentridge-Ausstellung in Berlin

NO IT IS !


MORE SWEETLY PLAY THE DANCE, 2015, (Quelle: Courtesy the artist)
Zeichnung für den Film SOBRIETY, 1991
(Quelle: Courtesy the artist)
GDN - William Kentridges interdisziplinäres Gesamtwerk wird derzeit erstmals in Berlin im Martin-Gropius-Bau (12. Mai bis 21. August 2016), im Rahmen einer sehenswerten und beeindruckenden Ausstellung, unter dem Titel “Not it is!“ präsentiert.
Als kleiner Junge erblickte William Kentridge (*1955) eine Schachtel auf dem Schreibtisch seines Vaters, doch statt der erhofften Schokolade entdeckte er darin Fotos von erschossenen Demonstranten, die als Beweismittel für einen bevorstehenden Prozess dienen sollten. William Kentridges Vater war Rechtsanwalt und vertrat einst Nelson Mandela und weitere südafrikanische Bürgerrechtler sowie die Familie des ermordeten Steve Biko. Für William Kentridge, der später ebenfalls leidenschaftlich gegen die Apartheid in seiner südafrikanischen Heimat kämpfte, sei dies ein “beschämender“ Moment gewesen.
OTHER FACES, 2011 / Film
Quelle: Courtesy the artist
William Kentridge gilt als ein schwermütiger, aber auch genussfreudiger Mensch. Auch seine Kunst entfaltet häufig eine widersprüchliche Wirkung. Traurig und ausgelassen, expressiv und distanziert zugleich muten seine Werke, deren bestimmende Elemente Asche, Kohle und Staub sind, an. Farben tauchen hingegen nur selten auf, was seiner Ansicht nach eine Frage des Temperaments sei. Er verspüre keine generelle Abneigung gegen Farbe, äußerte er in einem Interview, aber er denke, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, nicht in Farbe und wenn er versuche, Farben zu mischen, erziele er nie das Ergebnis, das er sich ursprünglich vorgestellt hatte.
Kentridges Werke, die ihre Wirkung vor allem entfalten, wenn sie in Trickfilmen des Künstlers integriert werden, beschäftigen sich mit seiner südafrikanischen Heimat, Unterdrückung und Verwandlung. Linien und Gebäude entstehen und vergehen. Menschen und Tiere verwehen in ihren Bewegungen, um verändert wiederzukehren. Kentridges Welt ist ein Prozess, von Unwägbarkeiten geprägt und keine feststehende Tatsache.
Kentridge schloss sein Studium in Politik und Afrikanistik ab, bevor er sich der Kunst zuwandte, an der Art Foundation in Johannesburg studierte und anschließend an einer Theaterschule in Paris. Er arbeitete als Schauspieler, Designer und Regisseur. Nach mehr als drei Jahrzehnten kann Kentridge auf ein umfassendes künstlerisches Schaffen zurückblicken. Dieses interdisziplinäre Gesamtwerk wird nun erstmals in Berlin von den Berliner Festspielen präsentiert: im Martin-Gropius-Bau (12. Mai bis 21. August 2016) sowie im Haus der Berliner Festspiele im Rahmen des Festivals Foreign Affairs (5. bis 17. Juli 2016).
In der Performance-Reihe “Drawing Lessons“, die als Ausgangspunkt und somit Fundament der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau angesehen werden kann, erhält der Besucher Einblicke in die Arbeitsweise Kentridges, bevor er zum zentralen Werk der Ausstellung gelangt. Auf einer mehr als 40 Meter langen Abfolge von Projektionswänden scheint das Leben Afrikas am Besucher vorbeizuziehen. Gezeichnete und gefilmte gesichtslose Schattenwesen, darunter Hinkende und Menschen am Tropf, marschieren durch eine graue Landschaft.
MORE SWEETLY, PLAY THE DANCE, 2015
Quelle: Courtesy the artist
Tanzend folgen sie einer Brassband, brüllen dabei in Megafone, während eine Frau hinter ihnen drohend ihr Gewehr schwenkt. Handelt es sich um Flüchtlinge oder Heimkehrer? Werden sie von der bewaffneten Frau bedroht oder beschützt? Wohin zieht diese eigentümliche Karawane? Haben diese Wanderer überhaupt ein Ziel? “More Sweetly Play the Dance“ ist das monumentale Werk, in Anspielung auf Paul Celans Todesfuge (“Spiel süßer den Tod“), betitelt.
Zum Abschluss gelangt der Besucher zu der Rauminstallation “The refusal of time“, die Kentridge 2012 im Rahmen der Documenta 13 in Kassel vorgestellt hat. Sie thematisiert die Normierung der Zeit, wie sie im Zuge der Industrialisierung stattgefunden hat. Auf großen Leinwänden tauchen vertraute Motive aus Kentridges Werk - marschierende Menschen, Megafone, Räder oder Uhren - auf, während in der Mitte des Raumes eine Maschine aus Holz, die äußerlich an einen Webstuhl erinnert, dabei aber die Wirkung eines Kraftwerks zu entfalten scheint, den Takt vorgibt.
William Kentridge: BREATHE, DISSOLVE, RETURN, 2008
Quelle: Courtesy the artist
Die großartige und hochemotionale Ausstellung bietet einen schwarz-weißen Bilderrausch, der kaum einen Besucher unbeeindruckt lassen wird. Der Einsatz vergleichsweise altmodischer Medien - Zeichnungen, Trickfilme oder Kohlestifte - schwillt in Kentridges Händen zum monumentalen Drama an, das aufwühlt und zugleich melancholisch stimmt. “Es ist Wahnsinn! Unglaublich! Fantastisch! Wie kann aus einem Menschen so viel heraussprudeln!“, schreibt eine Besucherin in das ausliegende Gästebuch. Dem ist nur zuzustimmen.
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