Kultur

“Frühstück bei Tiffany“ (Truman Capote) am Staatstheater Kassel

.. nicht leicht, Holly Golightly zu sein


(Quelle: N.Klinger)
Michaela Klamminger
(Quelle: Michaela Klamminger)
GDN - Am vergangenen Freitag feierte “Frühstück bei Tiffany“ Premiere am Staatstheater Kassel. Die Inszenierung von Anna Bergmann wird manche Erwartung nicht erfüllen, überzeugt aber mit Detailreichtum. Die Hauptdarstellerin Michaela Klamminger stand GDN für ein Gespräch über ihre Rolle zur Verfügung.
“I“™m not sure where that is but I know what it is like. It“™s like Tiffany“™s.“
Zu den verträumten Klängen von Mancinis “Moon River“ rollt am frühen Morgen ein gelbes Taxi die noch menschenleere 5th Avenue in New York entlang und stoppt vor dem Gebäude des renommierten Juweliers “Tiffany“, wo Audrey Hepburn im schwarzen Cocktailkleid und mit Sonnenbrille dem Fahrzeug entsteigt und kurz darauf ehrfürchtig die Marmorfassade emporschaut. Im nächsten Augenblick betrachtet sie die erlesenen Schaufensterauslagen und nimmt dabei ihr nicht eben üppiges, aus einem Coffee-to-Go und Backwerk, das sie in einer Papiertüte mit sich trägt, bestehendes, Frühstück ein - dies jedoch in feinster Abendrobe.
Mancher Zuschauer wird sich beim Betreten des Theatersaales womöglich an jene Eröffnungsszene aus dem Film “Breakfast at Tiffany's“ (1961, Regie: Blake Edwards) erinnert haben und in der Erwartung, eine Adaption der legendären Verfilmung auf der Bühne zu erleben, gekommen sein. Doch Regisseurin Anna Bergmann und ihr Ensemble orientieren sich bei der Produktion am Staatstheater Kassel an Truman Capotes Literaturvorlage, die sich in vielerlei Hinsicht erheblich von der Hollywood-Verfilmung unterscheidet.
“Der Respekt vor einer Schauspielerin wie Audrey Hepburn ist zweifellos groß“
In Kassel kommt der Schauspielerin Michaela Klamminger die Herausforderung zu, Holly Golightly zu verkörpern. “Ich habe von unserem Intendanten Thomas Bockelmann erfahren, dass ich die Rolle spielen werde. Die Theaterleitung hatte dies, in Absprache mit der Regisseurin, entschieden. Auch wenn ich mich natürlich einerseits sehr darüber gefreut habe, dachte ich sofort an den Film und der Respekt vor einer Schauspielerin wie Audrey Hepburn ist zweifellos groß“¦“, erinnert sich Michaela Klamminger an den Moment, als sie von der geplanten Besetzung erfahren hat.
Michaela Klamminger
Quelle: Michaela Klamminger
Doch der in Österreich geborenen Schauspielerin gelingt es durchaus, den großen Hollywood-Star vergessen zu lassen, wozu fraglos der grundsätzliche Ansatz, sich inhaltlich sowie in der Bildsprache, nicht an der Verfilmung zu orientieren, wesentlich beiträgt. “Ich habe mir ganz bewusst vorher den Film auch gar nicht angeschaut“, schildert Michaela Klamminger, fügt aber augenzwinkernd hinzu: “.. ein paar Tage nach der Premiere dann aber schon.“
“Unverschämt mit Charme“
Truman Capote äußerte in einem Interview, er sei schockiert gewesen, als er den Film gesehen habe. “Ich hätte kotzen können." In der Tat war seine Vorlage drastisch entschärft und verkitscht worden, denn Ende der Fünfzigerjahre galten in Hollywood noch strenge, scheinheilige Moralvorstellungen. Sex, insbesondere außerehelicher, durfte allenfalls vage angedeutet werden, Themen wie Prostitution oder gar Homosexualität waren tabu und das cineastisch vermittelte Frauenbild war geprägt von naiven Schönheiten (Marilyn Monroe), in ihrer Sittsamkeit unbeirrbaren Hausfrauen (Doris Day) oder unnahbaren Göttinnen (Liz Taylor).
Holly Golightly war mit ihrer Lebensweise und Haltung zu jener Zeit für Hollywood zu progressiv, hinsichtlich ihrer Humanität zu offen und als Frau zu eigenständig. “Holly Golightly ist ein Mensch, der sich nicht allzu viele Sorgen macht. Sie lebt in den Tag hinein, macht das Beste aus jeder Situation und ist dabei durchaus egoistisch. Sie nimmt sich, was sie braucht und ist in vielerlei Hinsicht unverschämt“¦ aber das mit Charme“, charakterisiert Michaela Klamminger die Figur. Für die Erarbeitung ihrer Rolle habe sie sehr viel von und über Truman Capote gelesen, Menschen in ihrer Umgebung beobachtet und sich zudem durch Gespräche mit Regisseurin Anna Bergmann und Dramaturg Thomaspeter Goergen dem Charakter von Holly Golightly genähert.
Die Schauspielerin gibt Einblick in die intensive Zeit, als sie sich auf die Rolle vorbereitet und den Text gelernt hat. “Ich habe irgendwann sogar angefangen, als Holly Golightly zu träumen. Ich bin tatsächlich manchmal nachts wach geworden, habe auf die Uhr geschaut und gedacht, ich hätte verschlafen und müsse mich sofort auf den Weg zu Sally Tomato machen.“ In ihrer Rolle besucht sie, gegen Bezahlung, wöchentlich den im Gefängnis sitzenden Mafiaboss Salvatore “Sally“ Tomato. Ein Arrangement, das ihr später beinahe zum Verhängnis wird.
“Ich glaube es gibt schon einiges, das mich mit dieser Rolle verbindet. Holly Golightly begegnet jedem Menschen mit der größtmöglichen Offenheit und ohne ihn zu beurteilen. Diese Offenheit und grundsätzliche Liebe Menschen gegenüber empfinde ich auch.“ Auf die Frage, was sie denn vor allem von Holly Golightly unterscheide, antwortet Michaela Klamminger ohne nachdenken zu müssen: “Die Selbstinszenierung ist mir fremd.“
So wird Holly Golightly in ihrer Eröffnungsszene auf einem überdimensionalen Lippenstift reitend auf die Bühne gefahren und ist sich dabei ihrer erwünschten Wirkung zweifellos völlig bewusst. Die Schauspielerin betont hingen, dass sie auf derartige Auftritte im privaten Bereich keinerlei Wert lege. “Ich möchte nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen und bin bei Partys auch gerne eine unter vielen.“
“Um schöpferisch zu arbeiten braucht es ein Geheimnis, das man versucht herauszubekommen, indem man seine Vorstellungskraft erweitert“, äußerte Truman Capote in einem Gespräch. “Wenn es nichts herauszufinden gibt, kann ich nicht darüber schreiben.“ Bis zu einem gewissen Grad sei dieses Verständnis durchaus auch für ihre Arbeit als Schauspielerin zutreffend, konstatiert Michaela Klamminger. “Eine Figur, die man spielt - und für Holly Golightly gilt das ganz besonders -, ist immer ein Geheimnis, das man versucht zu knacken. Ich habe zum Beispiel erst bei der Erarbeitung der Rolle wirklich verstanden, was für eine extreme Person, die ständig Grenzen überschreitet, Holly Golightly ist. Das ist etwas, das in dem Film gar nicht deutlich wird.“
Marius Bistritzky und Michaela Klamminger
Quelle: N.Klinger
Während Holly Golightly in der Verfilmung, von der Anfangsszene bis zum abschließenden Kuss im Regen, weitestgehend einen gleichbleibenden Modestil wahrt, wandelt sich ihr Erscheinungsbild (Kostüme: Claudia González Espíndola) auf der Kasseler Bühne, entsprechend ihrer sich verändernden Lebensumstände, im Verlauf des Abends erheblich. “Wir hatten den Gedanken, dass in jeder Szene, in der Holly auftritt, ein anderer Aspekt ihrer Persönlichkeit zutage tritt. Sie ist im Grunde in jeder Szene ein anderer Mensch und das soll man auf der Bühne auch sehen,“ erläutert Michaela Klamminger die grundlegende Idee der Kostümierung.
“Anna Bergmann weiß genau, was sie will“
Die viel beschäftigte Regisseurin Anna Bergmann gibt mit “Frühstück bei Tiffany“ ihr Debüt am Staatstheater Kassel und erschien, bezüglich ihrer Inszenierung, mit einer sehr klaren Vorstellung zu den Proben. “Anna Bergmann weiß sehr genau, was sie will, weshalb ihre Art mit einem Ensemble zu arbeiten ausgesprochen produktiv ist“, erinnert sich Michaela Klamminger an die zurückliegenden Proben. Man spürt, wie wichtig der Schauspielerin die enge Zusammenarbeit mit der Regisseurin war. “Wie haben uns oft unter vier Augen getroffen und an meiner Rolle gefeilt. Sie war im besten Wortsinn MEINE Regisseurin.“
Hagen Bähr
Quelle: N.Klinger
Die Musik nimmt in der Kasseler Produktion einen hohen Stellenwert ein. Heiko Schnurpel hat hierzu einen aufwendigen und detailreichen Score erschaffen, der vortrefflich die vordergründige Lebenslust, die mitunter auf der Bühne herrscht, konterkariert und den Schmerz, dem die Charaktere ausgesetzt sind, spürbar macht. Dem gesamten Ensemble ist für die durchweg gelungenen Gesangseinlagen Respekt zu zollen, wobei Hagen Bähr, der sowohl stimmlich als auch darstellerisch für Szenen sorgt, die in Erinnerung bleiben werden, besonders hervorzuheben ist.
Leidenschaft für die Worte Capotes
Der Theaterabend lässt die Zuschauer Augenzeuge einer überaus spannenden Begegnung werden, denn zu Beginn erwartet die Zuschauer nicht das heranrollende Taxi, das Holly Golightly vor den Türen des Nobeljuweliers “Tiffany“ absetzt, sondern der Autor Truman Capote selbst, der es sich im Ledersessel einer schummrigen Bar gemütlich gemacht hat, aus seinem Roman vorliest, somit die Geschichte in Gang setzt und kurz darauf auf seine Protagonistin Holly Golightly trifft.
Dieser Kunstgriff ist naheliegender, als er auf den ersten Blick erscheinen mag, darf der namenlose Erzähler der 1958 erschienenen Geschichte doch sicherlich als eine Anspielung auf Truman Capote selbst gedeutet werden. Anna Bergmann treibt dieses Spiel in ihrer Inszenierung auf die Spitze, indem sie gleich mehrere Versionen Capotes, die ihn in verschiedenen Stadien seines wechselhaften Lebens zeigen, auf die Bühne bringt.
Für den Text der Kasseler Inszenierung zeichnet Dramaturg Thomaspeter Goergen verantwortlich. “Ich wusste, dass er sich an dem Roman und nicht an dem Film orientiert und war daher inhaltlich nicht überrascht, als ich den Text zum ersten Mal gelesen habe“, erinnert sich Michaela Klamminger und fügt lachend hinzu: “Überrascht war ich über die Länge. Ich hatte wirklich sehr viel Text zu lernen, der allerdings am Ende auf etwa 50 % zusammengekürzt wurde, weil das Stück schlicht zu lang geworden wäre.“
Christian Ehrich (Truman Capote als »Fred«)
Quelle: N.Klinger
Der Autor Truman Capote, den Norman Mailer den perfektesten Autor seiner Generation nannte, bildet bei der Kasseler Produktion die Klammer um das Stück, setzt er doch die Handlung in Gang und beschließt gleichermaßen den Abend. Dies ist einer der vielen gelungenen Aspekte der Inszenierung, wie auch der Textvorlage. Während Capote in seinem Roman die Anziehungskraft, die eine Figur wie Holly Golightly mit ihrer Haltung dem Leben gegenüber, auf ihn ausübt, zum Leben erweckt, scheint die Inszenierung in Kassel einer Leidenschaft für die Worte Capotes Ausdruck zu verleihen.
“Hommage an das Anderssein“
Doch noch verdienstvoller ist es, dass die Kasseler Inszenierung eben nicht wie einst Hollywood den Subtext des Romans verwischt hat, sondern im Gegenteil diesen zum zentralen Thema erhebt. Ungeachtet der Tatsache, dass die Handlung um einige romantische Szenen ergänzt wurde, fügten die Filmemacher dem Drehbuch kurzerhand ein Happy End hinzu. Doch der berühmte Kuss, den Holly Golightly mit ihrem Nachbarn im strömenden Regen austauscht, hat in Capotes Text nie stattgefunden, denn der Schriftsteller in der Romanvorlage ist homosexuell.
Quelle: N.Klinger
Die Kasseler Inszenierung möchte als “Hommage an das Anderssein“ verstanden werden, was insbesondere in einer Zeit bedeutend ist, in der zunehmend Angst mit all ihren Schattierungen die gesellschaftlichen Diskussionen zu bestimmen scheint und die Bildzeitung, mit ihrem Selbstverständnis als “Seismograf der deutschen Befindlichkeit“ zu fungieren, nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt ein Viertel ihrer Titelseite für die gleichermaßen törichte, journalistisch wertlose, unzutreffende und verantwortungslose Schlagzeile “Angst!“ nutzt. Angst ist ein sprichwörtlich schlechter Berater und in unsicheren Zeiten gilt dies allemal.
Die Psychologie hat längst erkannt, dass Angst nicht selten zum dogmatischen Festhalten an als Tradition empfundenen Werten führt und erheblich zur Vermeidung, sich mit neuen Gedanken auseinanderzusetzen, beiträgt. Ein Gefühl der Bedrohung scheint von allem auszugehen, was “anders“ ist, weshalb Individualität es schwer hat, sich in einer von Angst beherrschten Atmosphäre zu entfalten.
Somit ist es gleichermaßen bezeichnend, erschütternd und empörend, wenn ein gewählter Abgeordneter der AfD, jener Partei, die fortwährend Ängste erzeugt, begierig aufgreift und sich bewusst zunutze macht, im Landesparlament von Sachsen-Anhalt auf Ausführungen einer Parlamentarierin zur Diskriminierung und staatlichen Verfolgung Homosexueller in mehreren nordafrikanischen Staaten mit den Zwischenruf reagiert: “Das sollten wir in Deutschland auch machen!“
“Herzchen, es mag ja sein, dass das normal ist, aber ist es auch natürlich?“
Holly Golightly bekennt sich hingegen zur Liebe, in welcher Form auch immer diese in Erscheinung tritt. Denkmustern, die sich an Begrifflichkeiten wie “vernünftig“, “normal“ oder “traditionell“ orientieren, stellt sie “größtmögliche Offenheit“ (Michaela Klamminger, s. o.), Aufrichtigkeit und ehrliche Toleranz entgegen: “Herzchen, es mag ja sein, dass das normal ist, aber ist es auch natürlich?“
“There is a pain, it does ripple, through my frame, makes me lame“
Auch wenn sicherlich nicht die Erwartungen aller Zuschauer erfüllt werden und der Handlung, ist man mit dem Roman und den zentralen Figuren nicht vertraut, schwer zu folgen ist, handelt es sich um eine gelungene, bildreiche, vielschichtige und detailreiche Inszenierung, die auch nach dem Schlussapplaus noch nachwirkt und Bilder erzeugt, die in Erinnerung bleiben, so wie etwa der hinreißende Auftritt von Hagen Bähr als Mag Wildwood, bei dem es, während des eindringlichen Songs “In this shirt“ (Original: The Irrepressibles), aufgrund einer außergewöhnlichen Regieidee, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll, Herzen vom Himmel regnet.
Quelle: N.Klinger
Quelle: N.Klinger
Im Verlauf des Stückes wird Holly von ihrer Vergangenheit eingeholt und offenbart zunehmend ihre traumatisierte und zerbrechliche Seite. In Schüben überkommt sie das “rote Elend“, wenn Schmerz und Trauer sie lähmen und der Juwelier “Tiffany“ der einzige Ort auf der Welt zu sein scheint, der Geborgenheit und Zuversicht verspricht. Auch wenn ihr Name (go lightly = “Nimm“™s leicht“) treffend die Lebenseinstellung dieser Figur widerzuspiegeln scheint - es ist nicht immer leicht, Holly Golightly zu sein“¦

weitere Informationen: https://www.staatstheater-kassel.de

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