Kultur
Verweile doch (ein Abgesang): Erste institutionelle Einzelausstellung in Europa
Kunsthalle Osnabrück zeigt Icaro Zorbar
Icaro Zorbar, Verweile doch, Kunsthalle Osnabrueck (Quelle: Foto: Angela von Brill)
GDN -
Welch berührendes Szenario hat der in Bergen lebende kolumbianische Künstler Icaro Zorbar (*1977) in Osnabrück hinterlassen: “Verweile doch (ein Abgesang)“ lautet der an Faust erinnernde Titel seiner Ausstellung, die noch bis zum 2. April in der Kunsthalle Osnabrück (Hasemauer 1) zu sehen ist.
Es ist die erste institutionelle Einzelausstellung von Icaro Zorbar in Europa. In der ihm eigenen Handschrift hinterliess er nach zwei Wochen intensiver Aufbauarbeit in dem ehemaligen Dominikaner Kloster eine sehr visuelle, interaktive und taktile Austellung. Aus Technikrelikten der Vergangenheit, wie analogen Plattenspielern, Tageslichtprojektoren, Lautsprecherboxen, Ventilatoren, aber auch aus simplen Lichtphänomenen schafft Zorbar - für all jene, die sich noch an das analoge Zeitalter erinnern - eine Welt voller Nostalgie. Kuratiert wurde die Ausstellung von Julia Draganivic.
Die Kunsthalle Osnabrück hält für die Besucher Meditationsmatten bereit, um im abgedunkelten Kirchenschiff Reflexionen über das unendliche Universum “˜da draußen“™ zu ermöglichen. Den sich im Kirchenschiff bewegenden Sternen, Planeten und Entitäten scheint es bereits gelungen zu sein, Raum und Zeit zu überwinden. Die fünf seriellen, hier installierten Videoprojektionen tragen den Titel “Dust“ und der Künstler ist selbst überrascht, wie “˜kosmologisch“™ das aus Licht und Staub entstandene Video im umgewidmeten Kirchenraum wirkt. Ein sich unendlich langsam drehender Plattenspieler, dessen Nadel auf dem mit Kohlestaub bestreuten Metallteller schwer aufliegt, erzeugt ein Hintergrundrauschen, das dem Weltall abgelauscht sein könnte.
Andere Installationen wie “Die ausradierte Zeichnung“ im Forum der Kunsthalle bieten dem Besucher die Möglichkeit, nicht nur genau hinzusehen und hinzuhören. Hier kann man sich der Arbeit des Künstlers auch taktil nähern: Das enervierende Geräusch zweier sich gegenseitig blockierender Plattenspielerarme wird auf die zahlreichen, freigelegten Lautsprecherboxen übertragen und lässt Reflexionen über soziale Übersprungsphänomene zu. Ein versehentlicher Schubs an der Installation schaffte beim Presserundgang einen unbeabsichtigen Rillensprung der aneinandergebundenen Tonköpfe. - Der Kommentar des Künstler: “Ich glaube an die Relevanz des Individuums für das Aufbrechen veralteter, gesellschaftlicher Strukturen, an kleine Ursachen mit großer Wirkung. Alles ist Beziehung.“
Einige der Installationen tragen den Untertitel “Assistenzbedürftige Installationen“. Zum Beispiel die fragilen Spieluhren, die sich jeweils individuell auf der Folienplatte von drei Tageslicht-Projektors bewegen. Die Lichtkegel sind auf gelbe Farbflächen gerichtet und schaffen die Illusion eines sonnenähnlichen Planeten. Wenn der Besucher die Spieluhr aufzieht, beginnt eine poetische Reise der analogen Tonobjekte durch den Lichtkreis der “˜Sonne“™. Icaro Zorbar nennt die dreiteilige, serielle Installation “Erster Pluto“. Sie ist eine Anspielung an die Herabstufung des Pluto als 'Zwergplanet' im Jahr 2006. Icaro sagt: “Nur weil er heruntergestuft wurde, bedeutet das nicht, dass er nun von geringerer Bedeutung sei." Die Fragilität berührt: Denn obwohl diese nostalgischen Artefakte scheinbar vom digitalen Fortschritt überrannt wurden, sind sie mehr als analoge Relikte einer vergangenen Zeit. Vielmehr scheinen sie in der Ausstellung eigene Botschaften zu entwickeln, die erinnern uns daran, wie kostbar Zeit ist.
In der Eingangshalle der Kunsthalle begegnen uns ausrangierte Kassetten, auf deren Bändern Zorbar mit weißer Farbe Texte hinterlassen hat. Hier ist der Besucher ist aufgefordert, mit zwei Bleistiften ganz langsam und vorsichtig die Spulen zu drehen, um das Geschriebene nachzuvollziehen. Wenige Meter weiter: Spieluhren, die ein kleines Gewächshaus drehen und dem Besucher ein hohes Maß an Geduld abverlangen. Icaro Zorbars Miniaturen entschleunigen uns und bezaubern durch ihre analogen Verspieltheiten. Im Forum des ehemaligen Klosters befindet sich eine Installation mit Ventilator, von dem (während der Eröffnung) ein leierndes Liebeslied abgespielt wurde. Durch die Luftbewegung wurde das Tape verwirbelt und aufgebraucht. Der Künstler wird es bei der nächsten Ausstellung ersetzen. Übrig geblieben ist eine Videodokumentation. Der Künstler hat diese Installation aus der Gruppe der “Assistenzbedürftigen Installationen“ ausgeschlossen: Nur er selbst darf dieses Tape betätigen.
Nach seinen künstlerischen Vorbildern befragt, antwortet Icaro: mein Großvater. Von ihm habe er lernt, wie man Dinge auseinander nimmt und sie wieder neu zusammensetzt. Heute nutzt er diese Kenntnisse aus der analogen Epoche, um der digitalen Welt Phänomene der Entschleunigung entgegenzusetzen. Die digitale Technik verwandele unser Leben so schnell, dass wir oft nicht genug Zeit zur Adaptation und Orientierung finden, so der Künstler. Als weitere Vorbildern nennt er Andrei Tarkowski, Dieter Roth und “24 Hours Psycho“ von Douglas Gorden und verortet sich als Künstler im Film.
Icaro Zorbar wurde 1977 in Bogota, Kolumbien geboren, absolvierte dort ein Bachelorstudium im Bereich Film und Fernsehen und einen MFA in Bildender Kunst. Derzeit setzt er seine Studien an der Kunstakademie in Bergen (Norwegen) fort. Seine Biografie umfasst Ausstellungen in Lateinamerika, den USA und Europa. Seine Installationen wurden u.a. im New Museum in New York und der Sao Paolo Biennale gezeigt. Sie befinden sich in internationalen Sammlungen wie dem Mudam Luxemburg und der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in Wien. Die meisten seiner Arbeiten sind auf vimeo zu sehen.
Die Ausstellung ist Teil des Osnabrücker Kooperationsprojekts “Dance Macabre - Totentanz“. Zum Hintergrund: Mary Wigman (1886-1973), eine der bedeutendsten und einflussreichsten Protagonistinnen des modernen Tanzes in Deutschland im 20. Jahrhundert, schuf 1917 einen Totentanz, den sie 1921 zur Musik von Camille Saint-Saëns in Dresden herausbrachte. Vier Jahre später arbeitete sie in Dresden an einem zweiten Totentanz für ihre Tanzgruppe. Als “stummer Partner“, “immer spürbar und immer inspirierend“ saß der Maler Ernst Ludwig Kirchner dabei, zeichnete, entwarf Skizzen, aus denen später das Ölgemälde Totentanz und viele weitere Bilder zu Wigman entstanden. 1926 gelangte der “Totentanz II“ in Königsberg zur Uraufführung.
Dieser “Totentanz II“ war Anlass für das Kooperationsprojekt “Danse Macabre - Totentanz“, in dem sich vier Osnabrücker Kulturinstitutionen mit den verschiedenen Aspekten des Themas auseinandersetzen. Während die Dance Company Theater Osnabrück historischen Totentänzen von Mary Wigman zwei zeitgenössische Choreografien zu dieser Thematik gegenüberstellt, widmen sich das Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, die Kunsthalle Osnabrück und das Diözesanmuseum Osnabrück aus unterschiedlicher Perspektive dem bis in die Gegenwart reichenden Motiv des Totentanzes.
Nach einer intensiven Planungs- und Entwicklungsphase fand am 5. Februar fand in der Kunsthalle Osnabrück die erste Kindereröffnung statt. Für die Vermittlungsformate der Kunsthalle zeichnet Christel Schulte, Leiterin der Vermittlung der Kunsthalle mit ihrem freien Mitarbeiterteam, Merle Lembeck und Helene Büker, verantwortlich. Ermöglicht wird das Vermittlungsprogramm durch das “CAPP Collaborative Arts Partnership Programme“, einem durch Creative Europe geförderten Netzwerk und durch das Ministerium für Wirtschaft und Kultur, das auch die Ausstellung fördert. Wissenschaftlich begleitet wird das niedersächsisch-europäische Pilotprojekt im Rahmen von Seminaren im Masterstudiengang Kunst und Kommunikation durch die Universität Osnabrück (Prof. Andreas Brenne). Weitere Informationen zur Kunsthalle und ihrem Vermittlungsprogramm: www.kunsthalle.osnabrueck.de
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